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Betriebsführung

Alpwirtschaft im Gleichgewicht halten

Die Schweizer Alpwirtschaft und Berglandwirtschaft stehen unter Druck: Klimawandel, Problempflanzen und Grossraubtiere stören das über Jahrhunderte gewachsene Gleichgewicht. Agroscope erforscht deshalb auf 14 Alpen in fünf Kantonen standortangepasste Bewirtschaftungsmethoden.

Wie viele Tiere können auf einer Alpweide grasen, ohne diese zu übernutzen? Forscherinnen bei der Gras-Analyse.

Wie viele Tiere können auf einer Alpweide grasen, ohne diese zu übernutzen? Forscherinnen bei der Gras-Analyse.

(Bild: JV/LID)

Publiziert am

Der Klimawandel, Problempflanzen und Grossraubtiere erschweren das Leben und Arbeiten in der Schweizer Alpwirtschaft und Berglandwirtschaft. Mit der «Versuchsstation Alp- und Berglandwirtschaft» unterstützt Agroscope langfristig Bauernfamilien, die im doppelten Sinne des Wortes «am Berg» sind.

«Diese Landwirtschaftsbetriebe erfüllen für die Schweiz wichtige Funktionen»

Corinne Boss, Agroscope

Und das sind der wenige. Agroscope zählt 20’000 Schweizer Landwirtschaftsbetriebe in den Berggebieten. Diese bewirtschaften über 400’000 Hektaren landwirtschaftliche Nutzfläche. «Diese Landwirtschaftsbetriebe erfüllen für die Schweiz wichtige Funktionen», betont die Biologin Corinne Boss, Mitglied der Agroscope-Geschäftsleitung.

Die Alpwirtschaft und Berglandwirtschaft:

  • schafft in der Urproduktion und den vorgelagerten sowie nachgelagerten Branchen Arbeitsplätze in den Berggebieten
  • liefert authentische und hochwertige Lebensmittel
  • steigert die Attraktivität für den Tourismus und schafft damit weitere Arbeitsplätze in den Berggebieten
  • erhält einzigartige Ökosysteme.

Innovative Technologien auf 14 Alpen

Agroscope startete deshalb im Juni 2021 die «Versuchsstation Alp- und Berglandwirtschaft». Für die «Versuchsstation Alp- und Berglandwirtschaft» hat Agroscope 14 Alpen in den Bergkantonen Graubünden, Bern, Uri, Wallis und Tessin ausgesucht. Neben diesen fünf Bergkantonen sind die Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL als Forschungspartnerin am Projekt beteiligt. Den späteren Wissenstransfer in die Praxis übernimmt die landwirtschaftliche Beratungszentrale Agridea.

Bis es so weit ist, bilden die 14 Alpen zusammen die virtuelle «Versuchsstation Alp- und Berglandwirtschaft». Virtuell, weil es so viele Standorte braucht, um die strukturellen, organisatorischen, ökonomischen und klimatischen Unterschiede der Regionen abzubilden. Agroscope kann aber nicht auf jeder dieser 14 Alpen Forschende platzieren.

Die vier Schwerpunkte der Versuchsstation

Anfang Juli 2024 präsentierte Agroscope erste Resultate auf der Bündner Alp dil Plaun (rätoromanisch für Bodenalp), die hoch über Rhäzüns im Domleschg liegt. Die Fahrt dorthin ist eine luftige Sache: Vom Talboden (666 m ü. M.) geht es zuerst mit der kleinen Luftseilbahn Rhäzüns-Feldis und der Sesselbahn zur Bergstation Mutta (1974 m ü. M.), dann eine halbe Stunde zu Fuss auf die Sömmerungsalp.

Auf der Alp dil Plaun wirtschaften seit 2009 die Südtiroler Nadia und Günther Kneissl mit je einer Herde Milchkühen und Mutterkühen von Bauern aus der Region. Ihre Alpkäse werden seit Jahren immer wieder mit Medaillen ausgezeichnet – und der Buchweizen-Kuchen in ihrem Alpbeizli ist unter Wanderern legendär. Der ideale Platz für Agroscope, um die vier Schwerpunkte der «Versuchsstation Alp- und Berglandwirtschaft» zu präsentieren:

  • Klimawandel und standortangepasste Bewirtschaftung
  • Milchtechnologie
  • nachhaltiges Alpmanagement
  • Ackerbau in den Berggebieten

Folgen des Klimawandels auf Wasser und Gras

Der Klimawandel wirkt sich auch auf die Alpweiden aus: Auf diesen vertrocknet im Alpsommer das Gras und die Quellen versiegen. Eine Milchkuh muss aber für jeden Liter Milch, den sie gibt, vier Liter Wasser trinken. Pro Tag sind das 80 bis 100 Liter Wasser. An Hochsommertagen und auf steilen Berghängen können es sogar 150 Liter Wasser sein. In trockenen Sommern wie 2023 muss das Wasser deshalb oft schon in der Mitte der 100 Tage Alpzeit mit Hubschraubern hochgeflogen werden.

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In trockenen Sommern kann das Wasser auf den Alpen knapp werden. Ein Regemessgerät auf der Alp dil Plaun hält die Niederschlagsmenge fest.

(Bild: JV/LID)

Den Klimawandel können die Agroscope-Forscher nicht aufhalten. Und die Quellen bringen sie auch nicht zum Sprudeln. Ein Teilprojekt der «Versuchsstation Alp- und Berglandwirtschaft» kommt deshalb zur Erkenntnis, dass die Referenzwerte für den optimalen Viehbesatz auf der Alp angepasst werden müssen. Eine Alp kann dann nicht mehr mit zum Beispiel 100 Milchkühen bestossen werden, sondern je nach Wasserhaushalt und Futterangebot nur noch mit 70, 80 oder 90 Milchkühen.

Ein anderes Teilprojekt untersucht den Ertrag und die Qualität des Futters. Die Forschenden markierten dafür auf jeder der 14 Alpen vier Flächen von je einem Quadratmeter. Je eine produktive und eine magere Weide in einem tiefer und einem höher gelegenen Teil der Alp. Auf diesen Flächen schneidet die Doktorandin Sarina Danioth das Gras regelmässig mit einer Grasschere und legt es auf die Waage. Danach ermittelt sie im Labor den Nährwert der Grasmenge.

Das können bei schlechter Bodenbeschaffenheit und grosser Trockenheit nur 60 Gramm Gras pro Quadratmeter sein. Bei einem täglichen Futterbedarf von 70 bis 140 Kilogramm Gras pro Milchkuh kann man sich ausrechnen, dass in einem trockenen Sommer neben dem Wasser auch Futter auf die Alp gefahren oder geflogen werden muss.

Um das zu vermeiden, untersucht Agroscope neun neue trockenresistente Wiesen-Mischungen. Das sind Samen-Mischungen mit Pflanzenarten wie Hornklee, Rotschwingel, Spitzwegerich und Rotem Straussgras. Diese brachten selbst unter trockenen Bedingungen bis zu 44 Prozent mehr Futter als die Referenz-Mischungen. Weitere Projekte der Versuchsstation untersuchen das Potenzial neuer Technologien für das Herdenmanagement:

  • Drohnen zur Überwachung von Herden in steilem Gelände, insbesondere auch für den Herdenschutz.
  • Virtuelle Zäune, die ein Gebiet per Satellitennavigation eingrenzen.
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Agroscope-Mitarbeiterin Sarina Danioth legt einer Milchkuh das GPS-Halsband an, welches die Weide per Satellitennavigation «einzäunt».

(Bild: JV/LID)

Alpenrosen und Heidelbeeren ungeliebte

Viele Wanderer kommen im Juli und August auf die Alp dil Plaun, um die blühenden Alpenrosen zu sehen. Oder sie pflücken die süssen Heidelbeeren auf den Alpweiden. Für Älplerinnen und Älpler sind Alpenrosen und Heidelbeeren aber Problempflanzen. Wo diese Zwergsträucher sind, wächst im wörtlichen Sinne kein Gras mehr. Und das Vieh mag die oft dornigen, holzigen, bitteren oder sogar giftigen Problempflanzen nicht fressen.

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Wo Alpenrosen blühen, wächst kein Gras mehr.

(Bild: JV/LID)

Zusammen mit Fachleuten aus Wissenschaft, Beratung, Naturschutz und Praxis verfassten die Agroscope-Forschenden ein Handbuch zur Regulierung von 24 Problempflanzen. «Ironischerweise sind sowohl Unternutzung wie Übernutzung der Alpweiden ein Problem», stellt Caren Pauler fest:

  • Unternutzung führt zu einer Verbuschung der Alpweiden
  • Übernutzung fördert nährstoffliebende Pflanzen wie die krautigen Blacken (Ampfer)

Den Ackerbau wieder in die Berggebiete bringen

Ein ganz anderes Teilprojekt der «Versuchsstation Alp- und Berglandwirtschaft» untersucht den Ackerbau in den Berggebieten. «Über Jahrhunderte wurden in den Bergen Getreide und Hülsenfrüchte zur Selbstversorgung angebaut, bevor diese dem Grünland weichen mussten», erklärt Christoph Carlen, Mitglied der Agroscope-Geschäftsleitung.

Das Teilprojekt «Ackerbau in den Berggebieten» will diese traditionellen Kulturen wiederaufleben lassen und ihre Verarbeitung zu hochwertigen regionalen Spezialitäten fördern. Das Ziel dieses Teilprojektes sind zusätzliche Einkommensmöglichkeiten neben der Fleisch-, Milch- und Käse-Produktion. Es startete im Frühling 2024 im Wallis und in Graubünden und konzentriert sich mit Sortentests auf die drei historische Kulturen Rollgerste, Braugerste und Ackerbohnen. Zudem wird als neue Kultur die Lupine hinzugenommen. Mit dieser Hülsenfrucht und der Milch können neue Käsesorten entwickelt werden, die pflanzliche und tierische Rohstoffe kombinieren.

Die Sortenversuche für Gerste und Lupinen werden in Graubünden in Partnerschaft mit dem Plantahof durchgeführt, der landwirtschaftlichen Ausbildungsstätte des Kantons Graubünden und der Ostschweiz. Weitere Partner sind das Projekt regionale Entwicklung Safiental und Landwirtschaftsbetriebe im Naturpark Beverin.

Jürg Vollmer, LID

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