Elektrizität hat es überall: In Wohnräumen, Gewerberäumen und selbstverständlich auch in landwirtschaftlichen Gebäuden. In einer Umgebung, in der fast alle Geräte an das Stromnetz angeschlossen sind, ist ein Verzicht auf Strom heutzutage undenkbar. In den meisten Fällen gibt es keine Schwierigkeiten, da die Elektroinstallationen vorschriftsgemäss eingebaut werden. Taucht aber ein Problem auf, ist dessen Lokalisierung vielfach schwierig, da es vielfältige Ursachen haben kann.
Unkontrollierte Streuströme
Streustrom ist üblicherweise ein schwacher Stromfluss, der unkontrolliert in leitenden Materialien (Erde, Metallleitungen, Stahl in Stahlbetonbauten usw.) fliesst, statt in den dafür vorgesehenen Installationen (Draht, Kabel usw.). In einem Landwirtschaftsbetrieb fliesst Streustrom durch leitende Metallstrukturen, sprich, durch Wasserleitungen, Zäune, Stalleinrichtungen und Absperrungen, aber auch in Eisenbetonplatten im Boden, in Decken und Wänden. Weiter tritt er in Krananlagen, Technikräumen sowie in den Einrichtungen im Melkstand auf. Tiere sind in der Lage, den Streustrom zu spüren und das kann zum Problem werden.
«Kühe sind 50 bis 100 Mal empfindlicher auf Streuströme als Menschen.»
Aimé Maître, Streustrom-Fachmann
Im Landwirtschaftsbetrieb
2008 hat die Familie Jeanmonod im waadtländischen Grandevent ihre Milchkühe in den Neubau ausserhalb des Dorfes gebracht. Etwa zwei Jahre lang lief alles bestens, dann begann sich das Verhalten der Kühe zu ändern. Sie weigerten sich, spontan den Melkstand zu betreten und zeigten sich aussergewöhnlich gestresst. «Das Melken unter den üblichen ruhigen Bedingungen war nicht mehr möglich. Die Fälle von Mastitis sind gestiegen und die Zellzahlen bewegten sich auf einem viel zu hohen Niveau», erzählt Michel Jeanmonod. Da die Familie Jeanmonod Probleme mit Streuströmen kannte, wandte sie sich an Aimé Maître, ausgebildeter Elektriker und anerkannter Fachmann auf dem Gebiet von Kriechströmen in landwirtschaftlichen Gebäuden. Nach einer Situationsanalyse bestätigte sich, dass es sich um Streustrom in den Metallanlagen im Melkstand handelte. «Da Kühe 50 bis 100 Mal empfindlicher sind als Menschen, spüren sie diese Ströme schon bei geringer Intensität», erklärt Aimé Maître. Dazu kommt, dass die Tiere vielfach auf nassen Böden stehen und mit der Schnauze leitfähige Teile berühren. «Bei uns Menschen, haben Stiefel oder Schuhe auch eine isolierende Wirkung.»
Treten Streuströme/Streuspannungen über 1V auf, kann es dazu führen, dass die Tiere nicht mehr wie gewohnt fressen und trinken. Dieses veränderte Verhalten führt zu Gesundheitsproblemen bei den Tieren. Die Weigerung, sich dem Fressgitter, der Tränke oder dem Melkstand zu nähern, kann ein weiterer Hinweis auf ein Problem bezüglich Streustrom sein.
Die Ursachen
Es ist alles andere als einfach, Streuströme zu erkennen, da die Ursachen sehr vielfältig sein können: eine Änderung oder das Installieren einer neuen Elektroanlage im Betrieb, das Auswechseln der Leitungen, die Installation eines neuen elektrischen Geräts, ein Blitzschutz, der Bau eines neuen Gebäudes oder die Renovierung oder Umgestaltung eines Gebäudes in der Nähe.
Wenn die Tiere Anzeichen einer Störung zeigen und rein tiermedizinische Ursachen ausgeschlossen werden können, liegt das Problem womöglich bei den elektrischen Installationen. Auf dem Betrieb der Familie Jeanmonod war es die Frequenzsteuerung für die Vakuumpumpe, die zum Teil Schwierigkeiten verursachte. Fehlerhafte elektrische Anschlüsse, blanke Drähte, defekte Geräte oder eine unzureichende Isolierung können Kriechströme erzeugen, die in den Rohren und den Metallteilen zu finden sind. In den meisten Fällen liegt die Ursache jedoch in einer schlechten Erdung mit einem nicht normgerechten Potenzialausgleichssystem.
Die Lösungen
In einem Stallgebäude sind die Metallanschlüsse der leitenden Strukturen von grösster Bedeutung. Ist der Anschluss fehlerhaft, können zwischen Boden und metallischen Teilen Spannungsdifferenzen auftreten. Diese werden von den Tieren wahrgenommen, wenn sie mit dem Metall in Berührung kommen und gleichzeitig auf nassem Boden stehen.
Auf dem Betrieb von Familie Jeanmonod wurden alle Anschlüsse und elektrischen Geräte überprüft. Anschliessend wurden auch der Standort und das elektrische System aller technischen Installationen, sowie das Rührwerk und die Krananlage, einer Kontrolle unterzogen. In der Folge wurden die Spannungsdifferenzen zwischen den leitenden Strukturen ausgeglichen. Eine weitere Massnahme war der Einbau eines Überspannungsableiters (SPD), der die Überspannungen bei einem elektrischen Problem in die Erde ableitet. «Da die Tiere jetzt ihre Ruhe wieder gefunden haben, muss darauf geachtet werden, dass auf dem ganzen Betrieb an den elektrischen Geräten nichts geändert wird», erklärt Michel Jeanmonod. Als 2020 bei der Errichtung der Biogasanlage, die er gemeinsam mit seinem Nachbarn betreibt, für die Baustelle Strom vom Hof verwendet wurde, traten die Kühe erneut widerwillig in den Melkstand. Sobald der Stromanschluss für die Baustelle ausgeschaltet wurde, lief alles wieder rund. Dies demonstriert die Ausgewogenheit des elektrischen Systems in einem landwirtschaftlichen Gebäude.
Kontrolle der Installation
Bei Zweifeln an einem Mangel der Installation oder bei Spannungsdifferenzen, die ein Volt überschreiten und von den Tieren wahrgenommen werden, muss zunächst geprüft werden, ob die Installation normgerecht ausgeführt und geprüft wurde. Zusätzlich muss eine Erdungsmessung und eine Überprüfung der Wirksamkeit des Potenzialausgleichs im Aufenthaltsbereich der Tiere durchgeführt werden. Ein ausführlicher Bericht sowie eine Liste der Inhaber von Installationsund Kontrollbewilligungen sind auf der Website des Eidgenössischen Starkstrominspektorats ESTI zu finden.