Vor knapp 1000 Jahren äusserte sich die klösterliche Universalgelehrte Hildegard von Bingen begeistert: «Der Dinkel ist das beste Getreide, es ist warm, nährend und kräftig; und es ist milder als die andern Getreidearten, er bereitet dem, der ihn isst, rechtes Fleisch und gutes Blut, er macht frohen Sinn und Freude im Gemüt».
Klarer Rückstand gegenüber dem Weizen
In den letzten 150 Jahren verlor Dinkel an Bedeutung, da Weizen ertragreicher und pflegeleichter wurde. Neue Dinkelsorten zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnten seinen Siegeszug nicht bremsen, so die IG Dinkel.
Die Statistik bestätigt diesen Trend. Laut Agristat wurden 2024 in der Schweiz 78 634 ha Brotgetreide angebaut, davon 69 504 ha Weizen und nur 6934 ha Dinkel (8,8 %). Im Bio-Anbau hat Dinkel zwar einen höheren Stellenwert (1850 ha, 17 % der Bio-Brotgetreidefläche), doch auch hier dominiert Weizen mit 8526 ha.
Zwei Sorten dominieren den Dinkelanbau
Der Dinkelanbau in der Schweiz ist heute wenig divers. In der Saison 2024 / 25 entfielen laut Swisssem über 92 Prozent des verkauften Saatguts (inklusive Bio) auf die eng verwandten Sorten Ostro (64,7 %) und Oberkulmer (27,4 %), die Schwächen bei Standhaftigkeit, Krankheitsresistenz und Ertrag zeigen.
Um dem entgegenzuwirken, starteten FiBL, die Getreidezüchtung Peter Kunz (GPKZ) und das Bäckerei-Kompetenzzentrum Richemont 2022 das Projekt Daach. Auf sechs Praxisbetrieben wurden fünf neue GPKZ-Sorten (Edelweisser, Gletscher, Raisa, Copper, Flauder) und eine Agroscope-Sorte (Polkura) getestet. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) finanziert das Projekt.
Sorten prüfen und Marktzutritt ermöglichen
Das Projekt Daach verfolgte das Ziel, die Bio-Dinkel-Diversität zu erhöhen und neue Sorten in Praxis- und Backtests zu prüfen. Zudem galt es, ihren Anbau und Absatz zu fördern sowie den Marktzutritt zu erleichtern.
Nach drei Anbaujahren ziehen die Projektpartner ein vorläufig positives Fazit: Die neuen Sorten erwiesen sich in vielen Punkten als überlegen oder mindestens ebenbürtig. Aufgrund der stark schwankenden Wetterbedingungen – von extremer Trockenheit 2023 bis zu aussergewöhnlicher Nässe 2024 – gestaltete sich der direkte Vergleich jedoch als Herausforderung, wie aus den Zwischenberichten hervorgeht.
Drei Sorten mit ausgezeichneter Standfestigkeit
Die neuen Sorten bewiesen ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber dem Klimawandel. Dinkel ist zwar trockentolerant, doch 2023 und 2024 hinterliessen klimatische Extreme deutliche Ertragsspuren. Im guten Getreidejahr 2022 schnitten alle Sorten am besten ab, während die Erträge 2024 – dem schwächsten Versuchsjahr – durchwegs über 10 dt / ha tiefer lagen. Im Dreijahresvergleich erzielten Gletscher (41,6 dt / ha), Polkura (40,8 dt / ha) und Edelweisser (39,4 dt / ha) die besten Ergebnisse, während Ostro und Oberkulmer (nur zwei Jahre getestet) nicht mithalten konnten. Auch bei der Standfestigkeit, einer Schwäche vieler Dinkelsorten, überzeugten die Neuzüchtungen. Die geringste Lagerung zeigten Copper (11 % der Fläche), Gletscher (16 %) und Edelweisser (19 %). Dies könnte mit der Halmlänge zusammenhängen: Copper (117 cm), Gletscher (111 cm) und Edelweisser (126 cm) waren kürzer als Ostro (138 cm) und Oberkulmer (130 cm). Allerdings erklärt die Halmlänge nicht alles, da Ostro bei der Lagerung besser abschnitt als die deutlich kürzeren Polkura (112 cm) und Raisa (113 cm).
Auch die Backeigenschaften stimmen
Die neuen Sorten zeigten eine gute Krankheitsresistenz gegen Gelb- und Braunrost (siehe Grafik), besonders Raisa (wurde nur zwei Jahre getestet) und Gletscher, aber auch Polkura und Edelweisser schnitten gut ab.
Die Backtests laufen bis März 2025. Erste Ergebnisse mit Mehl aus 2022 zeigen: Copper, Edelweisser und Gletscher erzielten eine hohe Mehlausbeute. Edelweisser und Copper überzeugten zudem mit überdurchschnittlicher Teigausbeute, während Polkura beim Teigvolumen und der Teigausbeute schwächer abschnitt als Ostro.
Nicht alle Mühlen und Sammelstellen nehmen neue Sorten an
Die Versuche zeigen, dass die neuen Zuchtsorten – mit Ausnahme von Raisa, bereits auf der Bio-Sortenliste – eine Alternative zu Ostro und Oberkulmer sind. Doch nicht alle Mühlen nehmen sie an. Laut Katrin Carrel vom FiBL gibt es Sammelstellen, die ausschliesslich Urdinkel – also Ostro und Oberkulmer – verarbeiten. Noch ist keine der neuen Sorten als Urdinkel zugelassen.
«Die neuen Sorten sind für uns ein Thema», sagt Simona Gisler, Präsidentin der IG Dinkel. «Doch bislang gibt es keine, die neben Ostro und Oberkulmer als Urdinkel auf den Markt kommen kann.» Eine neue Sorte müsse in jeder Hinsicht überzeugen, auch genetisch, sonst bleibe es nur ein kurzer Erfolg, warnt sie. Die IG Dinkel beteiligt sich laut Gisler an anderen Versuchen zur Sortenerweiterung, rechnet aber nicht damit, dass eine neue Urdinkel-Sorte bereits im Herbst 2025 eingeführt wird. Gleichzeitig betont sie die hohe Nachfrage nach Bio-Urdinkel.