2/ 4 Serie: Der Bio-Piwi-Weinbaupionier erzählt
QUER gelesen
– Je nach Sorte beginnt das Wachstum der Rebstöcke unterschiedlich früh.
– Ist das erste Blatt etwas gewachsen, startet die Fotosynthese und die Rebe ernährt sich nicht mehr von den Reserven.
– Raubmilben gegen Schädlinge können mit Futterquellen gefördert oder sogar umgesiedelt werden.
– Im Frühling bewirken Pflanzenhormone das Längenwachstum der Sprosse.
– Durch das Abschneiden der Triebspitzen im Juni kann die Beerenbildung gefördert werden.
Augen erscheinen
Wenn die Eisheiligen schadlos überstanden sind, gilt es für uns, die zuvor stehen gelassenen Frostreserveruten blitzschnell abzuschneiden. So kann die Rebe alles, was sie für das Wachstum braucht, in ihre Hauptruten investieren. Je nach Sorte drücken die Augen gerade aus der Wolle, sind schon ein wenig entfaltet oder haben bereits ein paar Zentimeter lange Triebe. Im Auge sind Hauptknospe und zwei kleine Nebenknospen angelegt. Darin sind bereits alle zukünftigen Organe wie Spross, Blätter, Blüten und Ranken in kleinster Form vorbereitet. Die Wolle hat diese wie ein pflanzeneigener Pelzmantel vor der Kälte geschützt.
Start der Fotosynthese
Sobald das erste Blatt etwa fünflibergross ist, wächst das junge Schösslein nicht mehr aus den Zuckerstoffen der Holzreserven, sondern aus der Fotosynthese des Blattgrüns, also durch eigene Zuckerbildung mittels des Sonnenlichts. Dank reichlichem Fluss von Wasser und Mineralien aus dem lebendigen Boden via Wurzeln zum Spross können sich die Schosse rasch strecken, sich neue Blätter entfalten und bei genügend Wärme viel Sonnenlicht einfangen. Oft wächst die Rebe jetzt viele Zentimeter pro Tag. Nun sind die flinken Hände der Winzerleute für das sogenannte «Erlesen» gefragt. Dabei werden sofort Kümmertriebe und das kleine erste Blatt entfernt, damit schon früh mehr Licht und Wind die Laubwand und die Blüten, auch Gescheine genannt, trocken halten. Das beugt der gefürchteten Pilzkrankheit des Falschen Mehltaues vor.
Räuber fördern, Schädlinge unterdrücken
Gerne kriechen zu dieser Zeit die Kräuselmilben aus dem Unterschlupf der Rebborke und suchen sich die jungen Schösslein. Dort stechen sie ins Gewebe und saugen reichlich Zucker und eiweissreichen Pflanzensaft. Die Rebe wächst nur noch sehr kümmerlich in verzwergtem Zickzackwuchs. Was aber tun, wenn ich keine umweltbelastenden Mittel spritzen will? Die Prävention kann schon sehr früh anfangen. Wir sorgen dafür, dass in Reichweite des Rebberges Haselsträucher stehen. Sie verschwenden früh reichlich Pollenstaub in den Wind, welcher auch auf den Rebstöcken kleben bleibt. So kriechen schon vor dem Austrieb die Raubmilben aus den Ritzen des Rebstockes. Sie verhungern dank dieser Kraftnahrung nicht, sondern vermehren sich und sind dann just zum Austrieb der Rebe bereit, um die schädlichen Kräuselmilben zu jagen. Ebenfalls genial: Die Raubmilben auf eine neu gepflanzte Rebfläche übersiedeln. Dazu können beim Erlesen in einem älteren Rebberg die abgelesenen Schösslein und Blättlein gesammelt und auf die Jungreben gebracht werden.
Als Wachstumsschub für die Reben wird nun der Unterwuchs gemulcht. Wichtig ist aber, dass jede zweite Fahrgasse stehen gelassen wird. Der Pollenstaub der Blüten, auch der Gräser in diesen Gassen, dient dann den Raubmilben wieder als Nahrung, wenn sie die Kräuselmilben erfolgreich eliminiert haben. Dieses Beispiel zeigt wunderschön, wie im Weinbau mit biologischem Wissen die Naturprozesse elegant genutzt werden können.
Pflanzenhormone lenken
Das rasche Wachsen wird von der Sprossspitze gesteuert. Sie lässt ein Hormon nach unten fliessen. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Die Blätter senden möglichst viel Assimilate nach oben, und der Austrieb der Knospen in den Blattachseln wird unterdrückt. Anfang Juni etwa beginnt die Blüte und Beerenbildung. Jetzt können wir diesen Hormonfluss zu unseren Gunsten unterbrechen, indem wir die Triebspitzen abschneiden, auch Kappen genannt. So ist die Anziehungskraft für Assimilate weg. Die Gescheine oder kleinen Beeren an den Trauben bekommen mehr Wachstumskraft. Auch aus den Blattachselknospen können schöne Seitentriebe wachsen. Dies ist dann unsere Fotosynthesefläche für den Spätsommer, wenn die unteren Blätter schon älter sind. Da wir bekanntlich keine üblichen, raschlöslichen Dünger in unserem Bio-Anbau einsetzten, erfolgt dies früh und je nach Sorte auch zweimal, damit wir nur kurze Spitzen abschneiden und kein Wachstum verschwenden. Die fragilen Rebschosse werden zum Schutz vor Stürmen in die Drähte der Rebanlage eingeschlauft. Dazu gibt es Maschinen, doch wir haben an den Seiten der Laubwand Hagelschutznetze montiert. Diese lenken die Schosse nach oben. In den früh gemähten Fahrgassen hat sich der Unterwuchs so weit entwickelt, dass die Kleintiere genug Nahrung und Unterschlupf finden, also mähen wir den älteren Unterwuchs alternierend in jeweils jeder zweiten Gasse. Das fördert das Abtrocknen der Laubwand und beugt wiederum Pilzbefall vor.
Der Bio-Piwi-Weinbaupionier
Fredi Strasser (Jahrgang 1958) wuchs auf einem Bauernhof in der Ostschweiz auf und studierte Agronomie an der ETH Zürich. Während 36 Jahren war er als Lehrer und Berater für Biolandbau an der zürcherischen Landwirtschaftsschule Strickhof und zugleich in der Forschung von Agroscope tätig. Seine Leidenschaft ist der Weinbau, und so bewirtschaftet er mit seiner Familie in Stammheim (ZH) ein Bioweingut. Dabei nutzt er ausschliesslich pilzwiderstandsfähige Reben (Piwi). Wer mehr von und über Fredi Strasser erfahren möchte: www.stammerberg.ch
Das Piwi-Buch: «Pilz-Resistente Traubensorten – Reben biologisch pflegen, naturreinen Wein geniessen» von Fredi Strasser und Franziska Löpfe, Bilder: Jürg Willimann. Haupt Verlag
Der nächste Beitrag dieser Serie folgt in der Juli/August-Ausgabe.