Einige Wirkstoffe der chemischsynthetischen Saatgutbeizung wurden schon in den Giftschrank verbannt. Viele sind im Gespräch, ebenfalls aus dem Verkehr gezogen zu werden. In Kulturen wie der Zuckerrübe führte das Verbot der nicotinoidhaltigen Beizmittel in manchen Regionen zu einem richtigen Flächenbrand mit dem Rübenvergilbungsvirus. Wie es in anderen Kulturen aussehen würde, wenn weitere Wirkstoffe wegfallen, ist eine offene Frage. Bei Getreidesaatgut wurden ohnehin «alte Krankheiten» wieder vermehrt festgestellt. Damit sind Krankheiten gemeint, die seit Einführung der Saatgutbeizung kaum noch auftraten. Besonders samenbürtige Pilzkrankheiten sind hier heikel und weltweit von Bedeutung. Irene Bänziger ist technisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Agroscope am Standort Reckenholz in Zürich. Sie beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit samenbürtigen Erregern im Rahmen der Gesundheitstests (GT) für die Saatgutzertifizierung von unbehandeltem Saatgut. Sie gab der UFA-Revue einen Einblick über die «Ist»-Situation und zeigt, was getan werden kann, um eine Verbreitung zu verhindern.
Eine grosse Ausbreitungswelle ist nicht in Sicht.
Krankheiten im Gesundheitscheck
Mit dem Gesundheitstest bestimmt Bänziger die wirtschaftlich relevanten samenbürtigen Krankheiten Stinkbrand (Tilletia caries, syn. T. tritici), Zwergbrand (Tilletia controversa) und Schneeschimmel (Microdochium nivale / M. majus). Für jede der Krankheiten gibt es ein Schadschwellensystem, das als Grundlage bei der Zertifizierung dient. Für die Analyse auf Schneeschimmel werden Samen auf Filterpapier angekeimt. Bildet sich ein weisslich rosaroter Schimmel oder weist der Keimling verkürzte, verbräunte Wurzeln auf, ist das Saatgut von Schneeschimmel befallen. Um hingegen die Branderreger (Stink- und Zwergbrand) nachzuweisen, werden die Samen gewaschen und die Lösung filtriert. Danach werden auf dem Filter unter dem Mikroskop die Brandpilzsporen gezählt. Der Flugbrand bei Gerste (Ustilago nuda) wird ebenfalls kontrolliert, allerdings schon auf dem Feld (Feldbesichtigung). Flugbranderreger sitzen tief im Inneren des Samens, im Embryo. «Ein Labortest wäre sehr aufwendig, da 2000 Embryonen auf einen Befall geprüft werden müssten», erklärt Bänziger. Auf dem Feld sind die schwarzen Flugbrandähren hingegen während der Blüte gut sichtbar. Die Wissenschaftlerin ist zuversichtlich, dass in naher Zukunft molekulare Methoden eine schnellere Analyse erlauben, auch der auf mögliche Sporen im Boden.
Wird ein befallener Bestand gedroschen, verschlimmert sich das Problem.
Andere Kultur, anderes Problem
Aber welche Krankheiten sind bei welcher Kultur ein Problem? Bänziger hat in 30 Jahren viele Saatgutproben getestet. «Seit zusätzlich zum Bio- vermehrt IP-Suisse-Saatgut hinzukommt, haben wir etwa 600 Posten pro Saison», schildert sie. Sie gibt aber gleich Entwarnung, da in den letzten Jahren nur wenige unbehandelte Proben die Schadschwellen für die relevanten Krankheiten übertroffen haben. Eine grosse Ausbreitungswelle ist nicht in Sicht. Zudem ist die Kontrolle sehr engmaschig über alle Saatgutklassen hinweg. Trotzdem weiss die Wissenschaftlerin, dass manche Krankheiten bei gewissen Kulturen eher vorkommen. So kommt der Flugbrand vor allem bei der Gerste vor, wohingegen beim Weizen und Dinkel der Stinkbrand ein grösseres Problem darstellt. Schneeschimmel ist eher bei Triticale und Roggen problematisch, da er die Keimfähigkeit reduziert.
Was passiert während eines Befalls
Stinkbrandsporen sitzen am Bärtchen ausserhalb des Korns und keimen während der Saatgutkeimung aus. Hier besteht noch die Chance, dass das Wetter der Landwirtin oder dem Landwirt in die Hände spielt. Denn der Erreger benötigt während der Pflanzenkeimung eher trockene Bedingungen und Temperaturen zwischen 5 und 10 °C. Zwergbrand ist allerdings auch bodenbürtig und keimt schon bei tieferen Temperaturen, die Pflanze wird während der Bestockung befallen. Ist die Pflanze befallen, so bildet sie bei beiden Krankheiten während der Teigreife Brandbutten anstelle der Körner aus. Der Fischgeruch, der von diesen schwarzen Sporenansammlungen ausgeht, ist dabei nicht zu «überriechen». Der Geruch alleine macht aber nicht das Problem, vielmehr sind kontaminierte Posten beim Verzehr giftig. Sind nur einzelne Ähren befallen, könnten diese von Hand entfernt werden. Wird ein befallener Bestand gedroschen, verschlimmert sich das Problem. Sporen der Brandbutten gelangen auf den Boden und gesunde Körner und infizieren diese. Maschinen und Lagerorte sind dann gleich mitkontaminiert.
Gerstenflugbrand bildet ebenfalls anstelle der Körner schwarze Sporenlager (Brandähren). Die Sporen, welche mittels Wind und Regen übertragen werden, infizieren gesunde Pflanzen schon während der Blüte. Dadurch gelangen die Sporen während der Bildung des Samens in dessen Embryo und bilden dort ein Pilzgeflecht. Eine stark befallene Fläche ist meist mit hohen Ertragseinbussen verbunden. Der Schneeschimmel, hingegen, benötigt kühle Temperaturen mit hoher Luftfeuchtigkeit. Sind diese Bedingungen gegeben, vermindert der Pilz die Keimfähigkeit der sich entwickelnden Körner und die Bestände werden lückenhaft.
Bio Tipp
Bio-Saatgut künftig schützen
Auch wenn die Schadschwellen selten übertroffen werden, so ist Saatgut, das nicht chemisch-synthetisch behandelt wurde, eher mit Krankheiten belastet. Problematisch sind dabei vor allem Vermehrungen für den eigenen Bedarf oder alte Sorten, die nicht für Saatgutorganisationen vermehrt werden. Zudem sind die Abstände zwischen den Flächen oftmals eher gering, was eine Ausbreitung ebenfalls fördert. Es ist empfehlenswert, dass Betriebe eigene Proben einschicken (siehe Infobox). Mühlen schicken Bio-Getreide ebenfalls zur Analyse, wenn sie einen Befall vermuten. Alternativen zu einer chemisch-synthetischen Beizung sind bisher rar. Früher war es möglich, das Produkt «Tillecur» (auf Basis von Senfmehl) gegen Stinkbrand einzusetzen, doch dieses Produkt ist in der Schweiz nicht mehr zugelassen. Eine Behandlung mit Cerall oder Cedomon (Pseudomonasbakterien) wäre eine Möglichkeit gegen Brandkrankheiten, allerdings verliert das Saatgut dadurch seine Lagerfähigkeit. Gegen den Flugbrand würden diese Behandlungen ohnehin nicht helfen, da der Erreger tief im Samen sitzt. Eine Warmwasserbehandlung schafft Abhilfe, aber lässt sich nicht im grossen Massstab umsetzen aufgrund der Logistik und der hohen Energiekosten. Last but not least ist mit der Entwicklung der Thermoseed Beizung, mit der ersten thermischen Beizanlage der Schweiz, künftig eine gute Möglichkeit gegeben, Saatgut vorzubehandeln. Agroscope hat dieses Verfahren zusammen mit der fenaco weiter vorangebracht. Die Saatgutoberfläche wird für wenige Minuten feuchter Hitze ausgesetzt, welche die Schaderreger abtötet. Mit der Anlage können fünfzehn Tonnen Saatgut pro Stunde behandelt werden. Gegen Flugbrand wirkt die Methode jedoch nicht, da die Hitze zu wenig tief in den Samen eindringt.
Weitere Informationen zum Thermoseed Verfahren: www.fenaco.com ➞ Suche ➞ Thermoseed
Proaktiv handeln
Irene Bänziger gibt einige Tipps, die helfen zu verhindern, dass sich Brandkrankheiten ausbreiten:
• Ausschliesslich zertifiziertes Saatgut verwenden.
• Einzelne befallene Brandähren entfernen.
• Sommergetreide ist generell weniger anfällig auf Stinkbrand und wird nicht von Zwergbrand befallen, da die Pflanzen aufgrund der höheren Temperaturen nach der Saat schneller wachsen und die Zwergbrandsporen nicht mehr keimen.
• Die Fruchtfolge nicht zu eng planen (Getreide).
• Bei einem Befall mit Stink- oder Zwergbrand eventuell auf Gerste wechseln, da diese nicht befallen wird.
• Mit dem Saatzeitpunkt kann das Risiko vermindert werden. Das heisst: Wintergetreide möglichst früh oder sehr spät aussäen, Sommergetreide eher spät (schnelle Pflanzenentwicklung).
• Es lohnt sich, Proben der Saatgutvermehrung zum Gesundheitstest einzuschicken.
• Bei Gerstenflugbrand sind geschlossen blühende Sorten weniger gefährdet.