Die Weinlese ist noch in weiter Ferne, dennoch gibt es nun, wo der Frühling beginnt und die Tage wieder länger werden, die ersten Tätigkeiten in unserem Weinberg zu erledigen. So sind auch schon einige Vier- und Zweibeiner bei der Arbeit.
Weidetiere erleichtern die Arbeit
Noch weiden in unseren steilen Lagen kleine Ouessantschafe und erleichtern die Mäusejagd für Turmfalken, Mäusebussarde und Milane, welche von den Rebpfählen in unsere 2,5 m breiten Rebgassen einfliegen. Unsere Tinkerponys beweiden die steilen Böschungen im Terrassenrebberg. Das erspart uns im Frühling aufwendige Arbeit, und dank dem extensiven Weiden bleiben Büschel von Gras und Kraut als Unterschlupf für viele Kleintiere, insbesondere Nützlinge, erhalten. Auch haben wir beobachtet, dass in den beweideten Lagen die Reben zügiger und frohwüchsiger austreiben, vermutlich, weil die Konkurrenz des Unterwuchses gehemmt wird.
Rebschnitt und Frost
Nun läuft der Rebschnitt auf Hochtouren. Da nur wenig Mist von den Pferden anfällt, haben wir die starkwüchsige Unterlage 5BB für die Rebpflanzung gewählt. Mit ihrem kräftigen Wurzelwerk erschliesst sie die Nährstoffe normalerweise ohne Zusatzdüngung und liefert schönes Schnittholz. Um den Boden schonend mit breiter Doppelbereifung befahren zu können, ist die Gasse 2,5 m breit. Zudem sind die Stockabstände 1,5 m breit, damit unter dem Stock mit den entsprechenden Geräten effizient gearbeitet werden kann. Da bei diesen Abständen nur 2500 Stöcke pro Hektare stehen würden, wurden zwei Reben am gleichen Ort gepflanzt. Pro Rebe schneiden wir einen Strecker von acht bis zwölf Augen bei den Piwi-Sorten mit grossen Trauben, wie Seyval Blanc, Solaris, Muscat Bleu oder Cabernet Jura. Die alten Züchtungen wie Léon Millot oder Maréchal Foch tragen kleine Trauben, da schneiden wir zwei Strecker pro Rebe, um den Zielertrag von 800 Gramm zu erreichen. Die Strecker werden anschliessend an den Bindedraht angebunden. Seit meiner Jugend lassen wir pro Rebe ein oder zwei lange Schosse des einjährigen Holzes beim Schnitt zusätzlich stehen. Diese Frostruten haben uns schon so manches Jahr als Reserven geholfen, einen Teil des sonst verlorenen Ertrages zu sichern. Und das trotz Frühlingsfrost nach dem Austrieb Ende April bis nach den Eisheiligen. Auch 2021 haben wir tagelang diese langen Ruten hinuntergebogen und angebunden. Das ist zwar eine riesige, aber dennoch erfolgreiche Arbeit. Die Augen an den Frostruten treiben dann weit oben an den Spitzen früher aus. Hat man Glück, schlafen die unteren Augen noch, sind in der dichten Wolle geschützt und treiben dann erst nach dem Herunterbinden aus.
Das Leben im Rebberg erwacht
Die ersten Sonnentage im Frühling spenden Wärme und Lichtenergie für das Wachstum des immergrünen Unterwuchses. Die Rebe ist noch in der Ruhephase und beginnt zaghaft mit der Wasser- und Nährstoffaufnahme im Boden und der Mobilisierung ihrer Zuckerreserven im Stock. So bereitet sie sich auf den Austrieb vor. Die Bodenlebewesen nutzen die zucker- und eiweissreichen Ausscheidungen der Wurzeln von Gräsern, Kräutern und Leguminosen und mobilisieren so Mineralstoffe für die Rebwurzeln. Würde man die Wurzelhärchen einer Rebe aneinanderreihen, ergäbe dies eine Länge von mehreren Kilometern. Rechnet man noch die mit ihnen verbundenen Mykorrhizapilzfäden dazu, verhundertfacht sich diese Ausdehnung im vitalen Boden. Dazu kommen noch Abermillionen von Bakterien; so wird das Leben in der Erdkrume unvorstellbar gross. Wenn wir das Wachstum in einem Rebberg ankurbeln wollen, bearbeiten wir den Boden unter den Stöcken zu Beginn des Austriebs mit dem Flachschar. Die absterbende organische Masse wird zur Nahrung für die Bodenlebewesen. Sie vermehren sich rasant und mobilisieren Mineralien, so können zum Beispiel Mykorrhizapilze Phosphor herauslösen. Wollen wir das Wachstum stärker fördern, wird im Abstand von mehreren Jahren jede zweite Fahrgasse mit der Spatenmaschine geöffnet und Luzerne gesät. Deren den Wurzeln anhaftenden Knöllchenbakterien (Rhizobien) sammeln gasförmigen Luftstickstoff aus den Bodenporen und wandeln ihn in eine mineralisch nutzbare Form für die Luzerne um. Wächst die Luzerne üppig, liefert sie den Rhizobien viel Zucker, den sie während der Fotosynthese gebildet hat. Die Rhizobien nutzen diesen Überfluss und geben Ammonium an den Boden ab, welches der Rebe und dem Unterwuchs zur Verfügung steht. Ein Bio-Trick, welchen wir ja in der Schweiz vorbildlich mit den Kleegrasansaaten im Ackerland nutzen.
QUER gelesen
– Tiere weiden im Weinberg, um den Unterwuchs in Schach zu halten.
– Ein Unterschlupf für Nützlinge bleibt erhalten.
– Breite Gassen und ausreichende Stockabstände ermöglichen eine schonende Bewirtschaftung.
– 1– 2 Schosse werden beim Schnitt als Reserve stehen gelassen.
– Ein diverser Bewuchs liefert Nahrung für Bodenlebewesen, die wiederum die Rebe mit Mineralien beliefern.
– Um den Boden zu verbessern, wird im Abstand von mehreren Jahren der Boden mit der Spatenmaschine geöffnet und Luzerne gesät.
Der Bio-Piwi-Weinbaupionier
Fredi Strasser (Jahrgang 1958) wuchs auf einem Bauernhof in der Ostschweiz auf und studierte Agronomie an der ETH Zürich. Während 36 Jahren war er als Lehrer und Berater für Biolandbau an der zürcherischen Landwirtschaftsschule Strickhof und zugleich in der Forschung von Agroscope tätig. Seine Leidenschaft ist der Weinbau, und so bewirtschaftet er mit seiner Familie in Stammheim (ZH) ein Bioweingut. Dabei nutzt er ausschliesslich pilzwiderstandsfähige Reben (Piwi). Wer mehr von und über Fredi Strasser erfahren möchte: www.stammerberg.ch