Der Klimawandel findet statt. Die Experten gehen momentan von einer Erwärmung der durchschnittlichen Temperatur von 2 °C aus. Doch wie beeinflusst der Klimawandel die Schweizer Landwirtschaft? Prof. Dr. Johan Six, Professor für Nachhaltige Agrarökosysteme an der ETH Zürich, und Melanie Glaus, Landwirtin in Schlossrued (AG), diskutieren über die Auswirkungen des Klimawandels in der Schweizer Landwirtschaft.
UFA-Revue: Wie wird der Klimawandel die Schweizer Landwirtschaft beeinflussen?
Johan Six: Der Klimawandel wird sich in der Schweiz durch vermehrte extreme Wetterereignisse zeigen. Trockenperioden werden direkt die Produktivität der Kulturen beeinflussen. Unregelmässiger und starker Regen wird die Erosion fördern.
Melanie Glaus: Das kann ich heute schon bestätigen. Wir hatten dieses Jahr allerdings zuerst Probleme mit der Trockenheit. Im Juni hat es kaum geregnet. Deshalb wuchs wenig Futter auf unseren Weiden, sodass wir nicht genügend davon hatten und das Weide-Management anpassen mussten. Im Juli hingegen gab es dann zu viel Regen und unsere Zufahrt rutschte ab. Erosion ist ein grosses Problem, auch in der Bewirtschaftung.
Wie werden sich diese extremen Wetterereignisse konkret auf den Pflanzenbau auswirken?
Glaus: Bei uns merkten wir in den letzten beiden Jahren vor allem die Unterschiede bei den Kartoffelsorten. Letztes Jahr war es sehr nass – wir hatten Probleme mit Blattkrankheiten, bei den einen Sorten mehr und bei anderen weniger. Dieses Jahr spürten die Kartoffeln die Trockenheit, auch hier gab es Sortenunterschiede. Grundsätzlich denke ich aber, dass Kartoffeln besser mit Trockenheit als mit Nässe umgehen können.
Six: Allgemein werden andere Kulturen als heute angebaut werden. Weizen beispielsweise ist trockenheitstoleranter und wird vermutlich künftig wieder mehr angebaut. Im Gegensatz dazu steht der Gemüseanbau: Gemüse braucht grundsätzlich viel Wasser, dementsprechend müsste in Zukunft die Bewässerung ausgebaut werden.
Wird sich die Dauer der Vegetationsperiode in der Schweiz verändern oder hat sie das bereits?
Glaus: Da wir erst seit zwei Jahren auf dem Betrieb sind, ist dies schwierig zu beurteilen. Was wir feststellten und auch die Vorbesitzer erzählten, ist die grössere Unregelmässigkeit im Wetter. Unsere ersten zwei Jahre waren ebenfalls komplett unterschiedlich. Im Vergleich zum letzten Jahr startete die Vegetationsperiode 2017 drei Wochen früher. Und dann kam der Frost. Daraus folgend haben wir kaum Früchte an unseren Bäumen.
Six: Ja, der Frost war und ist dieses Jahr ein grosses Problem. Bei den Vegetationsperioden sieht man in anderen Ländern grössere Unterschiede. Im Nordosten Amerikas beispielsweise wird die Saison kürzer, die Landwirte mussten früher ernten. Die Sortenwahl erhält hier eine ganz grosse Bedeutung.
Wie können die Landwirtinnen und Landwirte auf die verschiedenenEinflüsse des Klimawandels reagieren?
Six: Voraussagen des Wetterberichts werden immer wichtiger. Mit der zunehmenden Digitalisierung können «Echtzeit»-Voraussagen schnell über Internet, Smartphones oder auch Apps verteilt werden. Für die Landwirte bedeutet das eine riesige Informationsdichte, wo sie eigentlich sehr schnell reagieren müssten. Dies ist aber nicht ganz einfach.
Glaus: Ich selbst besitze beispielsweise den Wetteralarm. Diesen Sommer wurden aber teilweise Sommergewitter vorausgesagt – in welchen Regionen diese vorkommen würden, konnte aber nicht mitgeteilt werden. Hier hoffen wir in Zukunft auf präzisere Voraussagen. Im Pflanzenbau nehme ich bei der Sortenwahl die «Liste der empfohlenen Sorten» zur Hilfe. Dort findet man wichtige Informationen zu Anfälligkeiten auf Krankheiten oder anderes. Wir sind froh, dass wir die Informationen von der Forschung erhalten. Ob die Sorten an unseren eigenen Standorten gut wachsen oder nicht, müssen wir dann aber selber ausprobieren. Bei den Kartoffeln hatten wir letztes Jahr sieben Sorten, die einen reagieren besser bei Trockenheit und die anderen bei Nässe. Wir sind aber mit unserem hügeligen Land nicht so flexibel, der Fokus liegt bei der Tierproduktion.
«Kann die Forschung schnell genug angepasste und standortgerechte Sorten auf den Markt bringen?»
Melanie Glaus
Wie reagieren Ihre Kühe und Rinder auf die extremen Wetterereignisse?
Glaus: Die zwei Milchkühe und die 20 Mastrinder mögen es nicht, wenn es zu heiss, also mehr als 20°C, ist. Wenn es zu viele Fliegen hat, bringen wir unsere zwei Milchkühe und die kleinen Mastrinder in den Stall. Die mittlere Gruppe Mastrinder lassen wir jedoch draussen. Wichtig ist aber, dass sie Schatten und viel frisches Wasser zur Verfügung haben.
Wie unterstützt die Forschung die Landwirtschaft im Hinblick auf den Klimawandel?
Six: Im Pflanzenbau wird viel in der Züchtung geforscht. Während der grünen Revolution züchtete man unter intensiven Bedingungen – gewisse, heute wichtige Eigenschaften wie z. B. ein grosses Wurzelsystem gingen verloren. Das Ziel ist, diese Eigenschaften aus den alten Sorten wieder zurück in die heute verwendeten oder neuen Sorten zu bringen.
Glaus: Aber kann die Forschung schnell genug angepasste und standortgerechte Sorten auf den Markt bringen?
Six: Da bin ich mir nicht sicher. Selbstverständlich ist die Züchtung dank molekularer Methoden heute schneller als früher. Hier geht es nicht um gentechnisch veränderte Pflanzen, sondern darum, die gewünschte Eigenschaft gezielt in den Sorten verfolgen zu können. So muss nicht immer eine ganze Vegetationsperiode abgewartet werden. Die gewünschten Pflanzen können früher selektioniert und es kann schneller mit ihnen weitergearbeitet werden.
Gibt es andere Forschungsanstrengungen ausser der Züchtung?
Six: Selbstverständlich, es gibt diverse Ansätze. Die Bodenpflege ist ein wichtiger Punkt. Pfluglose Bodenbearbeitung zum Beispiel hält die Feuchtigkeit länger im Boden und hilft den Kulturen so bei längeren Trockenperioden. Auch werden die Maschinen angepasst, um beispielsweise die Bodenverdichtung beim Befahren zu minimieren. Es wird in diverse Richtungen geforscht. Natürlich sind solche Anstrengungen nicht komplett neu – die Landwirtschaft musste sich schon immer anpassen.
Kann ein Landwirt bei einem extremen Wetterereignis überhauptreagieren?
Six: Es kommt darauf an, wie schlimm beispielsweise ein Starkregen oder Hagel ist. Irgendwann kann man einfach nichts mehr machen und alles geht kaputt.
Glaus: Wir hoffen, dass das schlechte Wetter nicht bis zu uns kommt. Anders kann man nicht reagieren. Bei Hagel beispielsweise kann man das Haus nicht verlassen – man wartet und denkt an die Kulturen und das Gemüse, das zerstört wird.
Six: Haben Sie Ihre Kulturen nicht versichert?
Glaus: Nein, bei uns ist der grösste Teil des Landes Weide. Für unsere wenigen Kartoffeln, Bäume und unseren Gemüsegarten lohnt sich das nicht. Andere Betriebe versichern teils einzelne Kulturen oder auch alles. Aber man muss genau kalkulieren: Man bekommt zwar Geld zurück, aber im Jahr darauf steigen die Prämien. Ich denke, es kommt auf die Wertschöpfung der Kultur an. Bei Wein beispielsweise ist der Wert pro Quadratmeter sehr hoch, was zum Beispiel bei Weizen nicht der Fall ist.
«Es wird Zahlungen und andere Förderungsmassnahmen brauchen, damit die klimaschonende Produktion in den Mittelpunkt tritt.»
Prof. Dr. Johan Six
Kann die Landwirtschaft selbst etwas dazu beitragen, den Klimawandel zu verlangsamen?
Six: An der COP21 (Anmerkung der Redaktion: UN-Klimakonferenz in Paris 2015) wurde bereits auf internationaler Ebene darüber diskutiert, wie die Landwirtschaft einen Beitrag leisten könnte. Wie genau man die Landwirte dazu bringen kann, ist aber noch nicht geklärt. Es wird Zahlungen und andere Förderungsmassnahmen brauchen. Man forscht aber schon länger, welche Praktiken klimaschonend sind. Es gibt verschiedene Bearbeitungsmassnahmen, die vermehrt CO2 aus der Atmosphäre im Boden binden. Manchmal kann auch hier die pfluglose Bodenbearbeitung den gewünschten Effekt erzielen. Auch im Nutztierbereich gibt es sehr viel Forschung, wie man zum Beispiel Methan- oder Stickstoffemissionen mit unterschiedlichem Futter reduzieren kann.
Glaus: Wir können bei unseren Tieren nicht viel beitragen, da wir Weidemast betreiben. Das heisst, sie bekommen nur Gras und Heu und kein Kraftfutter. Wir achten darauf, dass die Weiden keine offenen Flächen aufweisen. Im Pflanzenbau bringen wir den Dünger direkt aus und pflanzen zwischen den Kulturen Gründüngungen mit Erbse, Hafer und Wicke. So bleibt der Boden bedeckt und es wird Stickstoff in den Boden eingetragen. Viel mehr können wir in unserer Situation nicht machen, denn es muss trotz allem immer noch wirtschaftlich sein.