Besorgt blickt Karl Betschart hinüber zum karstigen Felsgestein. Braun und trocken ist das Moos auf den kantigen Brocken und lässt nur vermuten, welch sprudelnder Bach sich sonst über die meterhohe Flanke ins Bachbett darunter stürzte. «Früher war das hier bis in den September hinein ein rauschender Wasserfall», sagt Betschart, «heute versickert das Wasser bereits weiter oben.» Das Bachbett darunter gleicht an diesem Augusttag stellenweise einem Tümpel. Nutzen würde man dieses liegen gebliebene Wasser auf der Alp «Vorder Brust», welche auf 1400 Metern liegt, höchstens noch zum Tränken der Tiere. Doch die grasen um diese Jahreszeit zum Glück im oberen Stafel – dort, wo noch Wasser fliesst.
Betscharts Worte stimmen nicht nur die UFA-Revue bei der Alpbesichtigung im Muotathal nachdenklich. Die Sorgenfalten auf seiner Stirn nehmen auch die Innerschweizer Älplerinnen und Älpler ernst. Betschart kennt das Alpgebiet der Oberallmeindkorporation Schwyz (OAK) seit Jahren. Er war 38 Jahre lang bei der OAK angestellt und arbeitet seit diesem Jahr beim Schwyzer Amt für Landwirtschaft. Seine Botschaft richtet er nicht nur an die lokale Alpwirtschaft, sondern an alle Sömmerungsgebiete im Land: «Ohne Wasser gibt es keine Alpwirtschaft.»
Alpwirtschaft als kulturelles Erbe
Die Hitzewelle der Monate Juni und Juli zeigt deutlich, wie der Klimawandel die sensiblen Ökosysteme im Gebirgsraum bedroht. Auf zahlreichen Alpen konnte die Wasserknappheit nur durch das Zuführen von Wasser aus dem Tal oder von nahe gelegenen Bergseen überbrückt werden. Teilweise kam das Wasser sogar aus der Luft via Hubschrauber. An der Internationalen Alpwirtschaftstagung in Visp wurde eine Resolution verabschiedet, die zum Schutz der Sömmerung im Alpenraum unter anderem auch Massnahmen im Bereich Wasserversorgung festhält. Für die teilnehmenden Alpenländer stellt die Sömmerung mit der traditionellen Stufenwirtschaft ein wertvolles Kulturerbe dar und soll neu auf die Liste der UNESCO aufgenommen werden. An dieser Tagung hielt auch Betschart sein Referat. Wenn es um den Fortbestand der Alpsömmerung geht, spricht er Klartext: «Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass an vielen Orten zusätzliche Investitionen in die Wasserinfrastrukturen nötig sein werden.»
Karl Betschart, Amt für Landwirtschaft, Kanton Schwyz«Ohne Wasser gibt es keine Alpwirtschaft.»
Wasser für ein ganzes Alpgebiet
Damit die Schwyzer Alpen nicht austrocknen, haben Betschart und die OAK zusammen mit den privaten Alpgebäude- und Landbesitzern die Weichen frühzeitig gestellt. Nach fünfjähriger Planungsarbeit wurden nun im Muotathaler Alpgebiet Mittenwald-Bödmeren die Arbeiten für die Sicherstellung der Wasserversorgung aufgenommen. Rund 15 Kilometer neue Wasserleitungen, neun Reservoirs und neue Quellenfassungen sollen künftig 34 Alpgebäude und zahlreiche Weidetränken auf den 15 Kuh- und Rinderalpen für die nächsten Jahrzehnte mit ausreichend Wasser versorgen.
An den Kosten des Projekts beteiligen sich neben dem Bund auch der Kanton und der Bezirk Schwyz im Rahmen der Strukturverbesserungsverordnung (SVV) im Berggebiet. Betschart macht deutlich, dass es bei den heutigen klimatischen Verhältnissen die Zusammenarbeit aller Beteiligten braucht. «Die Zeiten der punktuellen Flickwerke sind längst vorbei», sagt er, während er seinen Subaru Forester geschickt die steile Erschliessungsstrasse den Berg hoch zirkelt und dabei immer wieder auf Bodenmarkierungen hinweist. Sie zeigen den Verlauf der künftigen Wasserleitung, welche die Alpen Vorder Brust und Hinter Brust ab der nächsten Saison sicher mit Wasser versorgen wird.
In Zukunft fliesst es aufwärts
Die pink besprühten Pflöcke führen zur sprudelnden Quelle, die einst um diese Jahreszeit so viel Wasser lieferte, dass rund 200 Höhenmeter weiter unten noch Wasser über die Felsen fiel. Ohne dass der Bach hier oben versiegen wird, soll an dieser Stelle ein hydraulischer Widder zusätzliches Wasser auf die Alp «Tor» hinaufbefördern, die wiederum rund 100 Meter darüberliegt.
Simon Schelbert, Landwirt und Älpler«Was heute fehlt, sind die Sommergewitter.»
Für den Alpspezialisten Betschart veranschaulicht die geplante wassergetriebene Druckstosspumpe, die das kostbare Gut ohne Fremdenergie aufwärtsbefördern wird, wie vermehrt technische Infrastruktur nötig sein wird, um Alpen zuverlässig zu versorgen: «Die Quellen liegen oft nicht mehr dort, wo das Wasser gebraucht wird.»
Fassen, auch wenn es nur plätschert
Noch weiter oben, auf 1700 m ü. M., schieben der Älpler und Landwirt Simon Schelbert und Niklaus Bürgi, ein Vorarbeiter der OAK, gerade einen schweren Steinbrocken den Hang hinunter. Er wird später für den Schutz der viel kleineren Quelle «Grätli» benötigt, welche die beiden in den letzten Tagen neu gefasst haben. Schelbert ist seit über 40 Jahren Älpler auf Brust und Tor. Wie andere Alteingesessene beobachtet auch er, wie der Klimawandel das Innerschweizer Wasserschloss mit statistischen Niederschlagswerten bis 250 mm pro Monat über die letzten Jahrzehnte austrocknet: «Was heute fehlt, sind die Sommergewitter. Vor 30 Jahren verging hier oben keine Woche ohne», erinnert er sich, während er aus seinem Lederbeutel Tabak klaubt und seine Pfeife damit stopft. Auch der vermehrt auftretende Starkregen im Frühling trägt zur Trockenheit bei. Die Wasserreserven für den Sommer in Form von Schnee gehen so buchstäblich noch vor der Alpsaison den Bach runter.
Kleine Quelle sichert Existenz
Die Beobachtungen der Älpler spielten gemäss Betschart eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, neue Wasserressourcen zu erschliessen. «Diese Quelle liefert heute nur noch wenige Liter Wasser pro Minute, früher war das die einzige Quelle, die für die beiden Alpeinheiten gefasst war. Ein Teil des Wassers verläuft neben der Fassung, darum wird diese saniert.» Bereits in wenigen Jahren würde dieses Umdenken einen einzelnen Alpbetrieb sichern. Betscharts Rechnung ist einfach. Die Quelle Grätli, aus der pro Minute nur zwei Liter Wasser fliessen, löscht in der Summe dennoch den Durst von 20 Milchkühen pro Tag. Für Schelberts Kühe ist das genug, um einen Alpsommer knapp zu überstehen. Würde er seine Sömmerungsflächen verlieren, müsste er seinen Tierbestand im Talbetrieb halbieren. «Dann wäre es mit unserem Betrieb vorbei», sagt er, während sein Gesicht kurz hinter dem Pfeifenrauch verschwindet.
Mit dem Blick aufs Ganze fliesst das Wasser weiter
Um Alpbetriebe künftig zuverlässig mit Wasser zu versorgen, braucht es ein integriertes Vorgehen, welches nicht vor Grundstück- oder Alpeinheitsgrenzen haltmacht, sondern sich an den Einzugsgebieten der Gewässer orientiert. Bei Wasserversorgungsprojekten sind folgende Punkte zu berücksichtigen.
- Infrastrukturprojekte frühzeitig angehen (Umsetzungsdauer drei bis fünf Jahre)
- Vorausschauende Bedarfsabklärung
- Datenerhebungen (kann durch den Älpler oder Alpeigentümer gemacht werden) wie:
- Alpnutzung, Alpbewirtschaftung, Bestossung, Weideführung
- Aktuelles Wasservorkommen und vorhandene Infrastruktur
- Quelleninventar mit Messung von Schüttmengen und Wasserqualität
- Mitinteresse von Nachbaralpen klären, umfassende Lösungen suchen
- Kontaktnahme mit Gebäude-, Grund- oder auch sonstigen Anlageeigentümern (Bahnen, Kraftwerke etc.)
- Grobkonzept der Anlage erstellen inkl. Kostenschätzung
- Für eine Projektanmeldung ist frühzeitig mit den kantonalen Amtsstellen Kontakt aufzunehmen
- Sind mehrere Alpeinheiten oder Hüttenbesitzer betroffen, müssen sich diese zu einer Bauherrschaft zusammenschliessen. Es gibt zwei Formen: einfache Gesellschaft mit privatrechtlichem Vertrag gemäss OR oder Flurgenossenschaft gemäss ZGB nach öffentlichem Recht.
Weitere Informationen: www.agripedia.ch ➞ Klima