In einem Schadenfall hat sich jeder Geschädigte an die sogenannte Schadensminderungspflicht zu halten. Ein Beispiel: Vandalen schlagen am Auto von Xaver eine Scheibe ein. Xaver lässt sich mit der Reparatur Zeit und versäumt es auch, die eingeschlagene Scheibe abzukleben. In der Folge regnet es ins Auto, Wasser hinterlässt auf den Ledersitzen bleibende Flecken. Xaver hat seine Pflicht zur Schadensminderung klar vernachlässigt. Die Versicherung wird ihm nur die eingeschlagene Scheibe ersetzen, nicht aber die Ledersitze. Er hat nicht alles ihm Zumutbare unternommen, um den Schaden möglichst klein zu halten.
Gegenstück zur Ersatzpflicht
Die Schadensminderungspflicht verkörpert sozusagen das Gegenstück zur Ersatzpflicht des Schädigers. Diese Pflicht zur Schadensminderung ist in den Gesetzen aber nirgends ausdrücklich geregelt. Eine allgemeine Definition der Schadensminderungspflicht sucht man vergebens. Trotzdem ist die Schadensminderungspflicht im schweizerischen Delikts- und Haftpflichtrecht ohne weiteres anerkannt. Das Bundesgericht etwa ging bereits im Jahre 1906 vom Grundsatz aus, «dass der Geschädigte den Schaden nicht ins Unangemessene darf wachsen lassen und dass er seinerseits das Seinige zur Abwendung und Verminderung des Schadens zu tun hat, soweit die gute Treue das erfordert» (BGE 32 II 72).
Unterlassen und handeln
Inhaltlich kann die Schadensminderungspflicht in eine Unterlassungsund eine Handlungspflicht aufgegliedert werden. Der Geschädigte ist also verpflichtet, Handlungen zu unterlassen, die den eingetretenen Schaden vergrössern.
Im Rahmen der Handlungspflicht ist der Geschädigte hingegen verpflichtet, aktiv Massnahmen zu ergreifen, um den Schaden klein zu halten und um weiteren Schaden zu verhindern. Diese Handlungspflicht steht nun aber natürlich in einem Spannungsverhältnis zur ausgleichenden Funktion des Schadenersatzes. Der Geschädigte soll ja eigentlich – gemäss dem Grundverständnis – so gestellt werden, als wäre das schädigende Ereignis gar nicht eingetreten. Dieses Spannungsverhältnis hat auch das Bundesgericht erkannt und das Kriterium der Zumutbarkeit geschaffen.
Einzelfallbeurteilung
Zumutbar ist eine schadensmindernde Massnahme gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung, wenn ein vernünftiger Mensch sie im eigenen Interesse ergreifen würde, wenn er keinen Schadenersatz beanspruchen könnte (vgl. BGer 4C.141/2002). Zumutbar ist dabei nicht alles, was objektiv möglich, sondern nur, was subjektiv angemessen ist. Folglich muss die Zumutbarkeit unter Einbezug von subjektiven Kriterien wie zum Beispiel soziale Stellung, Alter, Gesundheitszustand und familiäre Verhältnisse beurteilt werden. Es gilt jeweils zu klären, was von einer Person in derselben persönlichen, beruflichen und sozialen Stellung an schadensmindernden Massnahmen erwartet werden könnte. Die Frage der Zumutbarkeit ist eine Ermessensfrage, welche vom Richter nach Recht und Billigkeit zu beurteilen ist (Art. 4 ZGB).
Die Schadensminderungspflicht im Agrarrecht
Im Bereich des Agrarrechts trifft man insbesondere im Rahmen von vorzeitigen Pachtvertragsauflösungen immer wieder auf die Schadensminderungspflicht. Gemäss Art. 15 Abs. 1 des landwirtschaftlichen Pachtgesetzes (LPG) kann der Erwerber eines Grundstückes den Pachtvertrag vorzeitig und innert Jahresfrist auflösen, wenn er den Pachtgegenstand zur Selbstbewirtschaftung erwirbt. Art. 15 Abs. 1 LPG regelt folglich die Ausnahme vom Grundsatz «Kauf bricht Pacht nicht». Der Pächter hat den Pachtgegenstand trotz Vertrag vorzeitig zu verlassen und dem Erwerber Platz zu machen, hat aber gemäss Art. 15 Abs. 4 LPG Anspruch auf den Ersatz des Schadens, der ihm durch die vorzeitige Beendigung des Pachtverhältnisses entsteht.
Kündigung einer Parzelle
Im Falle, dass eine Einzelparzelle vorzeitig gekündigt wird, besteht der Schaden des Pächters aus dem durch den Flächenverlust verursachten Einkommensausfall. Im Rahmen der Schadensminderungspflicht ist der Pächter verpflichtet, ihm zumutbare Betriebsumstellungen vorzunehmen, um den Einkommensverlust möglichst gering zu halten. Unter Betriebsumstellungen sind insbesondere Umstellungen der Fruchtfolge gemeint. Dabei kann von einem Pächter durchaus erwartet werden, dass er auf den ihm verbleibenden Flächen einkommensstarke Kulturen (Kartoffeln, Zuckerrüben) anbaut und jene Kulturen mit der geringsten Einkommensschöpfung (Futtergetreide, Silomais) reduziert. Damit kann der Schaden möglichst klein gehalten werden.
Ob entsprechende Umstellungen der Fruchtfolge einem Pächter zumutbar sind, ist von Fall zu Fall gesondert zu beurteilen. Unter Umständen ist eine Verschiebung der Kulturwahl aus Fruchtfolgegründen nämlich nicht ohne weiteres möglich. Besonders auf kleineren Betrieben kann der Anteil der Hackfrüchte auf der verbleibenden Fläche oft nicht mehr ausgedehnt werden. In solchen Fällen ist vom Durchschnitt der auf dem betroffenen Betrieb praktizierten Fruchtfolge auszugehen. Bei Agriexpert kann die Wegleitung für die Bemessung des Einkommensausfalls für mehrjährig beanspruchtes Kulturland bezogen werden. Sie enthält die durchschnittlichen Deckungsbeiträge für verschiedene Fruchtfolgetypen und kann zur Schadensermittlung bei vorzeitigem Entzug von Einzelparzellen verwendet werden.
Kündigung eines Gewerbes
Wird dem Pächter ein landwirtschaftliches Gewerbe vorzeitig gekündigt, besteht sein Schaden, falls er einen Ersatzbetrieb findet, aus den Kosten für die Suche des Betriebes, den Umzugskosten und einer allfälligen Einkommensdifferenz, sofern der Ersatzbetrieb weniger Einkommen abwirft.
Verläuft die Suche des Pächters nach einem Ersatzbetrieb hingegen erfolglos, setzt sich der Schaden aus den Kosten für die Suchbemühungen, den Umzugs- und Liquidationskosten für Fahr- und Viehhabe sowie einer allfälligen Einkommensdifferenz zusammen. Die Schadensminderungspflicht des Pächters gebietet, dass er sich nach Erhalt der vorzeitigen Kündigung umgehend nach einem neuen Pachtbetrieb umsieht und, wenn er innert nützlicher Frist keinen Ersatzbetrieb findet, eine möglichst gut bezahlte Arbeitsstelle sucht. Was dem Pächter konkret an schadensmindernden Massnahmen zumutbar ist, ist unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Pächters und seiner Familie (Alter, Gesundheit, Ausbildung, Arbeits- und Ausbildungssituation, Kinder) zu beurteilen.