Paul Jungo war während vielen Jahren Betriebsleiter des Gutsbetriebs des Landwirtschaftlichen Instituts Grangeneuve. Von Anfang an übernahm er die Klauenpflege der Milchkühe auf dem Schulbetrieb. Mit Kursen und Schulungen spezialisierte er sich zunehmend auf die gewerbliche Klauenpflege. Vor zehn Jahren kam der erfahrene Klauenpfleger in den Vorstand der Schweizerischen Klauenpflegervereinigung (SKV). Obwohl er seit fünf Jahren pensioniert ist, bildet er in Grangeneuve immer noch die Landwirtschaftsschüler aus und gibt den angehenden Betriebsleitern und Meisterlandwirten Kurse zum Klauenschneiden. Aber auch er selbst besucht regelmässig Weiterbildungskurse: «Weiterbildung ist sehr wichtig. Der SKV bietet viele Kurse an und alle zwei Jahre findet das Dreiländertreffen statt. Dabei kommen praktizierende Klauenpfleger aus der Schweiz, aus Deutschland und Österreich zusammen und lassen sich von Tierärzten und Spezialisten auf den neusten Stand bringen.» Immer noch betreut Paul Jungo rund zehn Betriebe und erledigt dort die funktionelle Klauenpflege und geht bei akuten Lahmheiten und Problemen vorbei. Doch was ist eigentlich die sogenannte funktionelle Klauenpflege?
Wie wird richtig gepflegt?
Die funktionelle Klauenpflege umfasst fünf Schritte, die bei jeder Klaue angewendet wird. Ziel ist es durch die regelmässige Pflege Klauenerkrankungen und Störungen vorzubeugen und die Klauen in einem guten Zustand zu erhalten:
- Beginn der Pflege an den Aussenklauen der Vorder- und Hintergliedmassen. Das bedeutet, dass die Klaue auf die richtige Länge eingekürzt (Richtwert 7.5 cm) und die Dicke und Höhe der Klaue angepasst wird. Die Weisse Linie darf dabei nicht verletzt werden. Mit dem sogenannten Klauen-Check können Länge, Winkel und Höhe der Klauen überprüft werden. Bei den hinteren Füssen ist die äussere Klaue aufgrund der höheren Belastung grösser und bei den Vorderbeinen werden die inneren Klauen stärker beansprucht und folglich grösser.
- Anschliessend wird die Innenklaue angepasst. Oft muss an der kleineren Klaue nur sehr wenig entfernt werden. Durch die Angleichung der beiden Klauen wird das Gewicht der Kuh besser verteilt (Weniger Druckstellen ➞ weniger Erkrankungen) und die Fussstellung korrigiert.
- Im nächsten Schritt wird der Hohlschnitt gemacht. Das Ziel ist das Herausarbeiten einer natürlichen Hohlkehlung und eine zusätzliche Entlastung der Stelle, wo am häufigsten Sohlenquetschungen und Geschwüre auftreten. Weiter unterstützt der Hohlschnitt den Selbstreinigungseffekt des Zwischenklauenspaltes.
- Jetzt wird kontrolliert, ob Defekte vorhanden sind. Risse und Geschwüre müssen «ausgeschnitten» und wo nötig saniert werden. Sind Farbabweichungen zu sehen, muss diesen nachgegangen werden. Bei schlimmeren Fällen muss der Tierarzt beigezogen werden, damit eine Schmerzausschaltung angewendet werden kann.
- Im letzten Schritt wird loses Horn entfernt und der Zwischenklauenspalt kontrolliert. Von losem Horn ist oft der Ballen der Klaue betroffen und bietet damit eine ideale Angriffsfläche für Schmutz und Bakterien.$
Ruhiger Umgang mit den Tieren
Paul Jungo hat beim Klauenschneiden eine fixe Reihenfolge: Er beginnt immer mit dem vorderen, linken Fuss der Kuh und arbeitet sich gegen den Uhrzeitsinn durch. Es ist wichtig, dass die Füsse immer von der Seite her aufgebunden werden müssen: «Dadurch senke ich das Risiko, dass mir eine Kuh einen Tritt versetzt. Überhaupt ist ein ruhiger Umgang mit den Tieren wichtig – es macht das Klauenschneiden für alle Beteiligten angenehmer», so der Routinier lachend. Paul Jungo arbeitet mit Winkelschleifer und Klauenmesser, seine Arbeitsutensilien sind alle ordentlich aufgestellt und griffbereit. Der Winkelschleifer wird für das Einkürzen (Länge und Höhe) verwendet und mit dem Klauenmesser wird die Feinarbeit gemacht: Hohlschnitt, Entfernung des losen Horns und bei Bedarf das Freilegen der erkrankte Stellen.
Hinterbeine öfter betroffen
So auch bei der Kuh, die Paul Jungo in den Klauenstand genommen hatte, um seine Arbeit zu zeigen: Am ersten Fuss (vorne links) war alles einwandfrei. Nach dem Kürzen kontrollierte er mit dem Klauen-Check die Länge und den Winkel der Klauen und ob die Höhe beider Klauen gleichmässig war. «Ist der Winkel der Klauen zu spitz, läuft die Kuh nicht gut und der Abstand zwischen dem Boden und dem weichen Ballen wird kleiner. Dadurch werden Infektionen wie Ballenfäule und Mortellaro gefördert», so Paul Jungo. Genau dieses Problem trat bei den nächsten Klauen hinten links auf: Nach Einkürzen und Hohlschnitt lautete das Fazit von Paul Jungo schnell: «Ballenfäule und Mortellaro». Nachdem die Klauen mit Wasser gereinigt wurden, schnitt Paul Jungo alles lose Horn weg und behandelte die betroffene Stelle mit einem Zinkspray. Auch am anderen Hinterbein litt die Kuh an Mortellaro. Beim Zurückschneiden achtete er darauf, die Kuh etwas «aufzustellen», sprich den Winkel der Klauen etwas zu vergrössern, um den Klauensatz/ die Trachtenhöhe zu erhöhen. «Mortellaro ist in den letzten Jahren stark aufgekommen, fast alle Betriebe sind betroffen. Da ich mit meinen Werkzeugen Erreger verschleppen kann, reinige und desinfiziere ich sie immer, bevor ich auf den nächsten Betrieb gehe. Hygiene ist wichtig und ich will keine Krankheiten verschleppen», erklärt Paul Jungo bestimmt.
Agieren statt reagieren
Allgemein ist es wichtig, dass die Klauenpflege regelmässig erledigt wird und auch bereits beim Jungvieh angesetzt wird, denn bei jungen Tieren können beispielsweise Fehlstellungen noch korrigiert werden.
Je nach Betrieb ist die Klauenpflege bei den Kühen zwei bis drei Mal pro Jahr nötig, je nach Abrieb im Stall und beim Weidegang. Für Paul Jungo gilt ganz klar «Agieren statt reagieren, je früher ein Problem erkannt wird, desto besser sind die Chancen, dass es wieder gut kommt. Hygiene ist auch im Stall entscheidend. Stehen die Kühe immer in Kot und Harn, sind Probleme vorprogrammiert», erklärt der erfahrene Klauenpfleger. Deshalb gilt es, in Laufställen regelmässig die Mistschieber laufen zu lassen und die Liegeboxen trocken und ausreichend gross zu gestalten, damit die Kühe sich gerne hinlegen. Dabei können die Klauen abtrocknen und das Erkrankungsrisiko wird verkleinert. «Weidegang ist gut für die Klauengesundheit, aber nur, wenn der Treibweg und der Weideeingang trocken und gepflegt sind – Morast ist nicht gut», meint der Experte.
Die Grenze ist die Lederhaut
Das Ziel der funktionellen Klauenpflege ist, den Hornschuh wieder in die richtige Form zu bringen und die Belastung auf beide Klauen gleichmässig zu verteilen, um Klauenkrankheiten vorzubeugen. Das Klauenhorn wird durch die Lederhaut produziert. Sie ist gut durchblutet und mit vielen Nerven versorgt. Liegt ein Geschwür vor, so wird dieser Horndefekt vom Klauenpfleger unter Schonung der Lederhaut «ausgeschnitten». Das bedeutet, dass nur das unterminierte Horn, jedoch nicht die Lederhaut weggeschnitten wird. Ist dies nicht möglich, muss dieser Eingriff unter lokaler Betäubung durch den Bestandestierarzt erfolgen. Erst nach dieser Schmerzausschaltung darf das Geschwür fertig ausgeschnitten werden. Dieses Vorgehen ist vom Gesetzgeber so vorgesehen und zum Wohl der betroffenen Kuh (Schmerzlinderung) als auch im Sinne des Tierhalters (schnellere Rückkehr der Kuh zur normalen Leistung).
Prof. Dr. Adrian Steiner Leiter Nutztierklinik Vetsuisse Bern
Sohlengeschwür
Sohlengeschwüre entstehen fast immer an den äusseren Klauen der Hinterbeine, im hinteren Drittel der Sohlenfläche auf. Ausgelöst wir das Geschwür durch Druckstellen und Überlastung der Lederhaut, welche durch unregelmässige oder falsche Klauenpflege entstehen. An den Druckstellen wird die Lederhaut nicht mehr richtig durchblutet, entzündet sich, schwillt an und wird «hervorgedrückt». Zudem verschlechtert sich die Hornqualität.
Paul Jungo: «Sohlengeschwüre kommen etwas weniger häufig vor, als noch vor einigen Jahren. Oft treten sie aber im Zusammenhang mit fütterungsbedingter Klauenrehe auf – dann heilt das Geschwür schlecht aus. Bei der Behandlung ist es das wichtigste, den Druck wegzunehmen. Alles lose Horn muss entfernt werden und das Geschwür trichterförmig ausgeschnitten werden. Nach dem Behandeln wird ein Verband gemacht und in schlimmen Fällen wird an der gesunden Klaue ein Klotz gesetzt. Der Verband wird nach (einem) drei bis fünf Tagen gewechselt und der Entlastungsklotz wird nach drei bis vier Wochen entfernt. Besonders bei Plastikschuhen ist das wichtig, bei denen besteht die Gefahr, dass sie im Horn einwachsen.»
Ballen- und Klauenfäule
Werden Klauen übermässig und dauerhaft Feuchtigkeit ausgesetzt, ist diese bakterielle Krankheit – nebst Mortellaro – oft anzutreffen. Das Horn wird aufgeweicht und Bakterien können eintreten und sich vermehren. Als typisches Bild zeigt sich Ballen und Klauenfäule mit V-förmigen Hornfurchen und einem fauligen Geruch.
Paul Jungo: «Bei der funktionellen Klauenpflege achte ich darauf, dass ich diese Tiere etwas «aufstelle», sprich ich trage vor allen im vorderen Teil der Klauen Horn ab, damit der Klauensatz nicht reduziert wird. Danach entferne ich alles lose, aufgeweichte Horn. Zur Behandlung trage ich einen Holz-teer-Spray auf.»
Weisse-Linie-Defekt
Unter einem Weisse-Linie-Defekt versteht man Einblutungen und Risse entlang der Weissen Linie, sowie hohle Wände und Klauenwandgeschwüre. Oft ist der Auslöser dieser Krankheit eine Klauenrehe oder Verletzungen aufgrund der Bodenbeschaffenheit.
Die Weisse Linie wird bei ihrer Bildung nur kurz mit Nährstoffen versorgt, aus diesem Grund besteht sie aus qualitativ schlechtem Horn. Das macht die Stelle besonders anfällig für Erkrankungen.
Paul Jungo: «Auch hier gilt es, sämtliches loses Horn zu entfernen, damit gesundes Horn nachwachsen kann. In besonders schlimmen Fällen (Doppelte Sohle, schlimmes Klauenwandgeschwür) ist der Tierarzt gefragt, da die Kühe sehr starke Schmerzen leiden müssen. Da bin ich nicht mehr die richtige Person.»