Die muttergebundene Aufzucht ist in der Schweiz erst seit Juli 2020 erlaubt. Zuvor war dies aufgrund der Definition von Milch in der Verordnung über die Hygiene der Milchproduktion (VHyMP) nicht möglich, da nicht vorgesehen ist, dass gemolkene Kühe auch Kälber säugen. Weil diese Aufzuchtform erst in den letzten vier Jahren in die Praxis Einzug gehalten hat, wurden im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) in Zollikofen die Systeme und Haltungsformen von zwölf Betrieben mit kuhgebundenen Aufzuchtsystemen erfasst.
Ammengebunden, muttergebunden oder beides?
Festgehalten wurde im Rahmen dieser Arbeit unter anderem die Form der Aufzucht. Unterschieden wurde zwischen mutter- beziehungsweise ammengebundenen Systemen und Mischformen davon. Bei der muttergebundenen Aufzucht darf das Kalb bei seiner eigenen Mutter bleiben und bei ihr säugen. Bei der ammengebundenen Aufzucht übernimmt eine Amme neben ihrem eigenen Kalb auch Kälber von anderen Kühen. Die Ammen sind von diesem Zeitpunkt an nur zur Aufzucht der Kälber da. Die restliche Milchviehherde ohne Kälber wird gemolken und hat keinen Kontakt mehr zu den Kälbern. Auch Mischformen der beiden Aufzuchtstrategien sind möglich, wo die Kälber während der ersten Tage bis Wochen bei der leiblichen Mutter bleiben und später zu einer Ammenkuh wechseln.
Aus der Praxis
Vor drei Jahren konnte Hannes Schneider den Milchviehbetrieb seiner Eltern übernehmen. Der gelernte Landwirt und Agrotechniker hat sich entschieden, mehr mit seinen Kühen zu arbeiten und ihnen eine natürlichere Haltung zu ermöglichen. Die Umstellung der konventionellen Milchproduktion zur kuhgebundenen Aufzucht ist für ihn mit weiteren Veränderungen verbunden. Die zu Beginn noch reine Red-Holstein-Herde wird durch Einkreuzen von Montbéliard, Original Braunvieh und Simmentaler mehr in Richtung Zweinutzungsrasse gezüchtet. Dies wertet nicht nur die Qualität der Mastkälber auf, sondern sorgt auch für eine adäquate Milchmenge. Aktuell liegt die Milchleistung seiner Kühe bei rund 9000 l pro Laktation. So kann der Landwirt zum einen Milch für die Dorfkäserei Utzenstorf und zum anderen Emmentaler Mastkälber produzieren.
Hannes Schneider«Das Wohlbefinden und die natürlichen Bedürfnisse meiner Tiere liegen mir sehr am Herzen.»
In seinem gemischten System mit mutter- und ammengebundener Aufzucht bleiben Kuh und Kalb nach der Geburt für drei Wochen gemeinsam in der Abkalbebox. Anfangs sind sie die ganze Zeit beisammen und das Kalb kommt auch mit in den Melkstand. Kontinuierlich wird die Kuh während dieser drei Wochen zurück in die Milchviehherde integriert, sodass die beiden schlussendlich zweimal täglich für 1,5 Stunden nach dem Melken Kontakt haben. Die drei Wochen alten Kälber kommen anschliessend in eine Kälbergruppe. Diese ist direkt an den Laufhof angrenzend, die Mütter können ihre Kälber also tagsüber immer sehen. Kontakt und Säugezeit gibt es auch hier zweimal täglich nach dem Melken für etwa 1,5 Stunden, wenn die Kühe an der Fressachse stehen. Ab einem Alter von rund drei Monaten wechseln die Kälber in die grössere Kälbergruppe, die nur noch von Ammenkühen gesäugt wird. Unter den Ammenkühen befinden sich einige Wagyu-Tiere. In der immer noch gemischten Mastund Aufzuchtgruppe werden die Kälber abgesetzt beziehungsweise vermarktet. Der Betrieb zeigt, wie vielseitig und adaptierbar das System der mutter- und ammengebundenen Aufzucht sein kann. Sein System zeigt auf, wie sich die natürlichen Bedürfnisse der Tiere und die wirtschaftliche Produktion noch besser vereinbaren lassen. «Mit diesem System kann ich dem natürlichen Verhalten meiner Tiere besser gerecht werden», ist Schneider überzeugt.
Betriebsspiegel
Label: IPS, ab 2025 Knospe Bio in Umstellung
LN: 40 ha; Futter- und Ackerbau (Getreide, Kartoffeln, Karotten)
Tiere: 40 Milch- und Ammenkühe und deren Kälber, Pensionspferde
Arbeitskräfte: Eltern, 1 Lernende