Die Sommerferien sind da. Für viele war das bislang Anlass, ins Ausland zu verreisen. Doch dieses Jahr ist alles anders. Man wähnt sich in längst vergangene Zeiten zurückversetzt. Die von den Regierungen erlassenen Reisebeschränkungen und Quarantänemassnahmen infolge der Coronakrise haben Auswirkungen auf das Festlegen individueller Reiseziele. Einschränkungen, die man bis vor kurzem nicht für möglich hielt, erinnern an ihre Vorläufer, den seuchenpolizeilichen Verfügungen früherer Jahrhunderte.
Doch zurück ins Jetzt: Zwar bringt der momentane Einbruch viele Akteure des klassischen internationalen Tourismus in wirtschaftliche Nöte. Hingegen erhalten alternative, kleine Anbieter des sogenannten «sanften Tourismus» im Inland Zulauf, die Abgeschiedenheit und naturnahe Erholung, gleichzeitig auch moderne Infrastruktur wie Bad/WC, Heizung oder Internet-. bereitstellen können. Man sucht ein Ort des Übernachtens und Verweilens, welche ein intensives Naturerlebnis miteinschliesst, ohne auf schädliche Art und Weise auf diese einwirken zu wollen. Hierzu gehört auch das Übernachten auf Bauernhöfen, abgelegenen Maiensässen oder Hütten. Beim Beherbergen von Gästen auf dem Hof handelt es sich erfahrungsgemäss um einen Nebenerwerb, der innerhalb eines «kleinen» landwirtschaftlichen Betriebs eingebunden bleibt.
Die Geschäftsstelle von Agrotourismus Schweiz (AT) publiziert einen eindeutig positiven Trend für die Auftragseingänge von Januar bis Juni 2020: Über die Plattform Myfarm.ch erzielten 828 konkreten Buchungen rund 509‘000 Fr. Umsatz (gegenüber 599 Buchungen mit 327‘000 Fr. in der Vorjahresperiode). Der aktuell bekannte Buchungsstand entspricht bereits heute schon fast dem Total der fürs ganze Vorjahr 2019 gemeldeten Umsatzzahl (ca. 539'000 Fr.).
Man bleibt länger
Nebst den Buchungen, die der AT-Geschäftsstelle bekannt sind, wird der Hauptharst einer unbekannten Anzahl Buchungen bei den Anbietern direkt ausgelöst. «Agrotourismus in der Schweiz ist momentan äusserst populär. Uns kam zugute, dass die Anbieter auch während des Lockdowns weiterhin offen hatten. Und im Vergleich zu ähnlichen Angeboten in unseren Nachbarländern haben wir noch mehr einheimische Gäste»,so Andreas Allenspach, Geschäftsführer von Agrotourismus Schweiz (AT).
Ähnlich positive Rückmeldungen verzeichnet ebenso das von AT unabhängig geführte zweite Portal «Ferien auf dem Bauernhof». Die Höfe seien dieses Jahr in den Sommerferien sehr gut belegt, was allerdings den Erwartungen entsprach. Vermehrt interessieren sich Gäste für die Zwischensaison im Mai und Juni, vermeldet Rita Barth von der Geschäftsstelle des Vereins, der die Website betreut.
Nicht nur die Anzahl Feriengäste, welche die Sommerfrische auf dem Land entdecken, zeigt nach oben. Auch die Qualität der Verweildauer in ländlicher Umgebung verändert sich. «Die Aufenthaltsdauer für Ferien auf Bauernhöfen wird länger. Verbrachte man früher nur ein verlängertes Wochenende auf dem Hof vor Beginn des Schulbetriebs, entschliessen sich nun Familien, ihre Hauptferien von 1 bis 2 Wochen Dauer auf dem Hof zu verbringen», stellt Allenspach mit Genugtuung fest. Die Vorteile sind vielfältig: Damit stellt sich eine grössere Vertrautheit ein zwischen Gästen und Gaststättenbetreiber ein. Zudem werden weniger kurzfristige Umtriebe für die Anbieter verursacht.
Breite Vielfalt
Der Trend nach oben wäre kaum möglich ohne eine mittlerweile ausdifferenzierte Dienstleistungspalette unter dem Begriff «Agrotourismus/ländlicher Tourismus», die längst über «Schlafen im Stroh» hinausgeht. Familie mit Kindern sind und bleiben ein wichtiges Gästesegment, allerdings nicht das einzige. Zu unterschiedlich sind die Gästegruppen und deren Bedürfnisse, weswegen auch weiterhin die ganze Bandbreite an Beherbergungen bespielt werden muss. Da gibt es Wanderer oder Pilger – einzeln wie in Gruppen – die sich mit sehr einfachen Verhältnissen begnügen. Ebenso zu erwähnen sind Radfahrer oder Skater, die nach einer bezwungenen Etappe eine Übernachtung benötigen. Eine deutliche Zunahme verzeichnen Anfragen nach Ferienwohnungen innerhalb eines Landwirtschaftsbetriebs.
Erwähnenswert sind schliesslich Höfe, die selbst Outdoor-Aktivitäten oder Abendanlässe organisieren (Reitferien, Seilpark, Kinoleinwand usw.). Zudem spezialisieren sich einige Betriebe auf Eintagesanlässe wie Hochzeiten, Schulklassen-Ausflüge oder Gaudis wie Bauernhof-Olympiaden, wo Geschicklichkeitsübungen wie Strohballenwerfen auch Durst und Hunger nach Zwischenverpflegung auslösen. Viele dieser Anbieter durchlaufen – wenig überraschend – momentan eine Durststrecke.
Werben im In- und Ausland
Bislang lebt der schweizerische Agrotourismus zwar primär von inländischen Gästen (62% der Buchungen). Dennoch gewinnt diese Form des naturnahen Ferienerlebnisses auch bei ausländischen Gästen an Beliebtheit (Deutschland 26%, Niederlande 3%). Wer ausserhalb klassischer Hotels übernachten will, findet mittels einer simplen Menüführung auf der Website von Schweiz Tourismus sehr rasch auch unkonventionellere Unterkünfte (Bed & Breakfast, Hostels und Herbergen, auf dem Bauernhof usw.). Bei Werbekampagnen für hierzulande möglichen Outdoor-Aktivitäten wie Velofahren (2018) und Wandern (2019) verwies die nationale Tourismusmarketingorganisation überdies auf solche Übernachtungsmöglichkeiten.
Das reisewillige Publikum aus dem Ausland mit Wunschdestination Schweiz ist allerdings mit sehr unterschiedlichen Budgets und Bedürfnissen ausgestattet. «Laut Tourismus Monitor Schweiz* bevorzugen beispielsweise deutsche Gäste eher Ferienwohnungen und alternative Unterkünfte, im Gegensatz zu US-Gästen. Entsprechend unterschiedlich bewerben wir diese Märkte», sagt Liên Burkard, Projektverantwortliche bei Schweiz Tourismus.
Jedenfalls bleibt nichts unversucht, um dem hiesigen Beherbergungsgewerbe in schwierigen Zeiten auf die Sprünge zu helfen. Aus der Taufe hob Schweiz Tourismus jüngst das «Million Stars Hotel». Geboten werden spektakuläre Übernachtungsangebote unter freiem Sternenhimmel – sei es in einer ausrangierten Seilbahngondel, einem Heuschober, einer ehemaligen Sternwarte, einem schwimmenden Elektrowohnwagenboot, in einem Hängezelt oder in einem durchsichtigen Kugelzelt inmitten von Obsthainen in Schrittdistanz zu Hofladenkaffee und Zweitunterkunft unter Dach, falls die Windgeschwindigkeit nachts zu ungemütlich wird.
Quelle: Manuel Fischer/LID
Weitere Informationen unter Agrotourismus Schweiz