Die Invalidenversicherung (IV) als wichtiger Teil der ersten Säule wurde per 2022 weiterentwickelt. Es ist dies nicht die erste Revision. Bei der IV ist man schon lange daran, Anpassungen vorzunehmen. Dabei geht es jeweils darum, eine Invalidität möglichst zu verhindern sowie bereits invalide Personen zu betreuen und sie möglichst wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Dies gleichzeitig unter dem Druck, Kosten zu sparen, da die IV seit Jahren ein grosses Defizit ausweist und «leihweise» Gelder der AHV für die IV eingesetzt werden.
Psychische Krankheiten im Vordergrund
Gemäss Bundesamt für Statistik sind von den insgesamt 220 000 IV-Bezügern rund dreizehn Prozent der Fälle auf Geburtsgebrechen zurückzuführen, neun Prozent auf das Nervensystem und je elf Prozent auf Knochen und Bewegungsorgane sowie andere Krankheiten. Sechs Prozent der IV-Renten gehen auf einen Unfall zurück.
Eine spürbare Veränderung ist die neue Bemessung des IV-Grades.
Den grössten Anteil machen psychische Krankheiten aus. Insgesamt bezieht rund die Hälfte aller IV-Bezüger aufgrund psychischer Erkrankungen eine Rente oder andere Leistungen der IV. Die Gesetzesrevision verfolgt denn auch Verbesserungen für Menschen mit psychischen Problemen, insbesondere durch die Ausweitung der Beratung und Begleitung. Zudem werden bei den medizinischen Gutachten Massnahmen zur Qualitätssicherung und für mehr Transparenz eingeführt.
Stufenloses System
Eine spürbare Veränderung ist die neue Bemessung des IV-Grades. Vorbei ist die Zeit der Viertel-, Halb- und Vollrenten. Neu soll der IV-Grad näher an der effektiv festgestellten Invalidität beziehungsweise am Grad der Arbeitsunfähigkeit liegen. Damit für Neurentenbezügerinnen und -bezüger ein Anreiz besteht, das Arbeitspensum zu erhöhen, wird ein stufenloses System eingeführt. Der Invaliditätsgrad bestimmt aber weiterhin, wie hoch der Rentenanspruch ist. Wie schon heute besteht bei einem Invaliditätsgrad von weniger als 40 Prozent kein Anspruch auf eine IV-Rente. Ab einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent wird eine ganze Rente zugesprochen.
Bestehende Renten werden nur angepasst, wenn sich bei einer Revision der Invaliditätsgrad um mindestens fünf Prozentpunkte ändert und wenn die versicherte Person bei Inkrafttreten der Gesetzesänderung noch nicht 55-jährig ist. Die Renten von Versicherten unter 30 Jahren werden spätestens innerhalb von zehn Jahren, das heisst bis Ende 2031, ins stufenlose System überführt, sofern sie in der Zwischenzeit nicht schon im Rahmen einer ordentlichen Revision angepasst wurden. Das neue Rentensystem wurde ebenfalls in das Rentensystem der 2. Säule integriert, damit die Leistungen der beiden Säulen im Falle einer Invalidenrente kongruent sind.
Grundproblematik bleibt die Bemessung des IV-Grades
Ein für die Landwirtschaft erhebliches Problem ist und bleibt auch mit der neuen Revision die Bemessung des IV-Grades, respektive die tiefen Einkommen vor der Invalidität (Valideneinkommen). Um den IV-Grad bemessen zu können, wird das vor der Invalidität erzielte Einkommen festgestellt, das sogenannte Valideneinkommen. Diesem wird das Invalideneinkommen gegenübergestellt, das ebenfalls die IV-Stelle festlegt. Es beruht auf der Annahme einer Tätigkeit, welche die invalide Person noch ausüben könnte. Dies grundsätzlich ungeachtet der Tätigkeit, welche sie vorher ausgeführt hat. Es wird somit als zumutbar erachtet, eine berufliche Veränderung vorzunehmen. Die Differenz zwischen Validen- und Invalideneinkommen, unter Umständen ermittelt in einer nicht landwirtschaftlichen Verweistätigkeit, ergibt schliesslich den IV-Grad.
Dieses Vorgehen stellt die Landwirtschaft vor erhebliche Probleme. Hat jemand vor Eintritt der Invalidität in den letzten Jahren bei der AHV kein genügend hohes Einkommen aus der Landwirtschaft ausgewiesen, ist es sehr schwer, einen IV-Grad zugewiesen zu erhalten oder andere Hilfsmittel bezahlt zu bekommen. Oftmals ergibt sich aus der Differenz zwischen Valideneinkommen und Invalideneinkommen ein IV-Grad unter 40 Prozent (siehe Berechnungsbeispiel).
Berechnungsbeispiel
Kann eine Person gemäss Beurteilung der IV zu 50 Prozent einer Tätigkeit in einer Werkstatt oder im Verkauf mit einem monatlichen Einkommen von Fr. 4000 nachgehen, ergibt das ein jährliches Invalideneinkommen von Fr. 48 000. Wenn nun das Valideneinkommen, also das effektive Einkommen aus der Landwirtschaft vor der Invalidität, Fr. 60 000 betrug, ergibt der Unterschied von Fr. 12 000 einen IV-Grad von 20 Prozent. Das bedeutet, dass keine Invalidenrente gesprochen wird, denn diese gibt es erst ab 40 Prozent. Es muss somit eine andere Tätigkeit ausgeführt werden.
(Valideneinkommen – Invalideneinkommen) × 100 /Valideneinkommen
Diese Situation ist bei IV-Abklärungen in der Landwirtschaft häufig anzutreffen. Der Betroffene muss sich dann mit der Frage auseinandersetzen, ob er den Betrieb «irgendwie» weiterführen will oder sich gemäss Empfehlung der IV umschulen lässt und die Landwirtschaft aufgibt.
Einkommenssituation definieren
Jedem einzelnen Betrieb kann nur geraten werden, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. Soll der Betrieb auch nach dem Eintritt einer Invalidität der betriebsleitenden Person oder des Partners weitergeführt werden, müssen Berechnungen angestellt werden und die Einkommen, sofern möglich, entsprechend definiert sein. Fragen der Einkommensteilung und eine gewisse Steuerung des landwirtschaftlichen Einkommens spielen hier eine grosse Rolle. Dies gilt genauso für mitarbeitende Familienmitglieder, die in der Regel ebenfalls tiefe Einkommen aus der Landwirtschaft erzielen.