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Betriebsführung

«Der Landwirt ist ein Marketing-Talent»

Was ist Marketing genau und was bedeutet es für die Landwirtschaft? Pietro Beritelli, Experte für Betriebswirtschaftslehre und Marketing an der Universität St. Gallen, gibt Antwort.

Prof. Dr. Pietro Beritelli

«Erlebnisse sind ein zentraler Punkt für die Identifikation»: Prof. Dr. Pietro Beritelli

(Gabriela Küng)

Publiziert am

Aktualisiert am

Leiterin Kommunikation, mooh Genossenschaft

Zur Person

Prof. Dr. Beritelli ist Titularprofessor und Ständiger Dozent für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung des Tourismus am IMP (Institut für Systemisches Management und Public Governance) an der Universität St. Gallen. Er ist Vizedirektor des IMP und administrativer Leiter des Masters Marketing, Services und Communication. Weiter ist er Verwaltungsratspräsident der Heidiland Tourismus AG und Verwaltungsratspräsident von Züri Oberland Tourismus.

Die Schweizer Bäuerinnen und Bauern produzieren hochqualitative Lebensmittel und führen mit ihren Betrieben grössere und kleinere Unternehmen. Ein wichtiger Erfolgsfaktor für ein Unternehmen ist das Marketing. Prof. Dr. Pietro Beritelli ist Titularprofessor und ständiger Dozent für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Tourismus an der Universität St. Gallen. Er gibt der UFA-Revue einen ausserlandwirtschaftlichen Einblick in das Marketing.

UFA-Revue: Was bedeutet Marketing für den Landwirt?

Pietro Beritelli: Marketing kann man aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Einfach erklärt, schaut man im Marketing nicht nur die Produkte, sondern auch die Preise, Mengen und die Saisonalitäten an. Der Produzent muss sich fragen, wie er seine Abnehmer beliefert und zu welchen Preisen er das machen möchte. Weiter geht es mit den Fragen, wer seine Kunden überhaupt sind, was diese wünschen und wie er mit ihnen zusammenarbeiten kann. Dann muss sich der Produzent fragen, wie er hinter seinen Produkten stehen kann und wie er diese besser an den Kunden bringt.

Heisst Marketing nicht einfach Werbung?

Beritelli: Man spricht beim Marketing von den vier P´s: Produkt, Preis, Place (Vertrieb) und Promotion (Verkaufsförderung). Sehr oft setzt man sich nur mit der Verkaufsförderung und der Kommunikation auseinander. Die primären Sachen des Marketing waren und bleiben aber das Produkt und der Preis.

Wie meinen Sie das?

Beritelli: Wenn das Produkt und der Preis stimmt und der Anbieter gut in die Wertschöpfungskette eingebunden ist, dann kann dieser die Produktion und den Verkauf sehr gut planen. Das ist das A und O eines Unternehmens.

Das mag für Produzenten mit einem fixen Abnehmer funktionieren. Wie sieht das aber für Produzenten mit Direktverkauf aus?

Beritelli: Hier ist das etwas komplexer. Man stellt sich folgende Fragen: Wie kommen die Kunden zu mir? Wie bringe ich das Produkt zum Kunden? Welche Möglichkeiten habe ich überhaupt, etwas direkt zu verkaufen? Was für eine Preis- oder Produktpolitik fahre ich? Welche Qualität oder welches Label strebe ich an? Und ganz wichtig natürlich: Welche besonderen Eigenschaften unterscheidet mein Produkt von jenem des Konkurrenten?

All das ist Marketing, wobei hier noch ein wichtiger zentraler Punkt fehlt.

«Das Interesse steigt, wenn der Konsument das Produkt mit einem positiven Erlebnis verbindet.»

Prof. Dr. Pietro Beritelli

Welchen Punkt meinen Sie hier?

Beritelli: Als Ökonom vermisse ich die Frage danach, wo das ganze passiert, also die geografischen Elemente. Wenn ich als Konsument irgendwo hingehe, möchte ich etwas sehen, erleben und auch konsumieren. Man verbindet mit dem Erlebten positive Emotionen und kauft regelmäs siger.

Wie funktioniert das auf einem landwirtschaftlichen Betrieb?

Beritelli: Das ist die perfekte Umgebung dafür. Es geht um die Präsentation des Produkts, am besten direkt auf dem Hof.

Sie raten also, dass man den Hof als Ganzes vermarkten soll?

Beritelli: Ja, eigentlich schon. Wir hatten uns sehr lange auf die industrielle Produktion festgelegt, wobei dann das Produkt einfach das ist, was man im Laden erhält. Heute legen die Konsumenten aber mehr Wert darauf, was sie kaufen. Sie wollen sich mit dem Produkt identifizieren.

Wie erreicht man als Direktvermarkter eine stärkere Identifikation mit einem Produkt?

Beritelli: Für mich sind Erlebnisse ein zentraler Punkt. Wenn man ein positives Erlebnis hatte, das man mit dem Produkt verbindet, wird dieses interessanter und man setzt sich mehr damit auseinander.

Wie macht das jemand, der nicht direkt verkauft?

Beritelli: Ich denke, das ist eher schwierig. Wenn ich als Produzent in eine Wertschöpfungskette eingebunden bin und einen Liefervertrag habe, kann ich in diesem Moment nicht viel machen. Solch eine Situation kann man nicht von heute auf morgen verändern. Man kann aber Möglichkeiten suchen, die mit kleinem Aufwand einen Mehrwert generieren, wie zum Beispiel einem Arbeitskollegen eines seiner eigenen Produkte, mit dem eigenen Label versehen, mit auf den Markt zu geben. So wird man präsent auf dem Markt.

Es gibt heute zahlreiche Labels – nützt das wirklich?

Beritelli: Ich selbst lasse mir jede Woche eine Tasche voll Gemüse liefern. Dieses hat zwar kein Label drauf, ich selbst weiss aber, von welchem Hof das Gemüse kommt und für mich ist das zufriedenstellend. Was die Vielfältigkeit von Labels angeht, denke ich, dass der Konsument heute gar nicht mehr weiss, für was die Labels eigentlich stehen. Ich kann mir durchaus auch vorstellen, dass er dadurch eine gewisse Abstumpfung erfahren hat.

Was muss ein Label ausmachen, dass es nützt?

Beritelli: Im Marketing spricht man nicht unbedingt von einem Label, sondern eher von einem Brand, also einer Marke. Die Definition stellt sich heute noch aus Name, Symbol, Zeichen oder irgendeiner Eigenschaft, die das eigene Produkt von der Konkurrenz abhebt. Das Produkt erkennt man also in einem Regal sofort durch den auffälligen Brand. Das müsste für jeden machbar sein: Das ist das Produkt dieses Produzenten und den kennt man persönlich.

Was ist das erste, das man machen muss, bevor man ins Marketing einsteigt?

Beritelli: Ich glaube, dass die Kommunikation in den meisten Fällen überbewertet wird. Es wird sehr viel kommuniziert heutzutage, sodass ein Informations-Überfluss besteht. Auch wird versucht, Botschaften ohne konkretes Produkt zu vermitteln, was sehr oberflächlich ist und nicht konkret wahrgenommen wird. Als erstes muss dem Betriebsleiter die Eigenschaften des Produkts klar sein und das, was das spezifische Produkt einzigartig macht. Das kann der Hof sein oder auch eine spezielle Birnensorte. In der Milch ist dies natürlich schwieriger, weil diese ein austauschbares Produkt ist. Aber auch da kann man herausstechen.

«Rückmeldungen sind die beste Marktforschung.»

Prof. Dr. Pietro Beritelli

Was will der heutige Konsument?

Beritelli: Ich denke, der heutige Konsument sucht nach etwas Eigenem, Authentischem und Natürlichem. Vieles wird austauschbarer in der heutigen Zeit und der Konsument will wissen, was er isst.

Liegt das an der Basiskommunikation des Schweizer Bauernverbands?

Beritelli: Dazu kenne ich keine Studie. Aber die Kampagne «Gut, gibt’s die Schweizer Bauern» kam sicher gut an und fiel auf. Die neue Kampagne mit den neuen Sujets ist ebenfalls authentisch und wird sicher gut bei der Bevölkerung ankommen. Allgemein denke ich, dass in der Schweiz Regionalität sehr wichtig ist und die Schweizer sehr sensibilisiert darauf sind.

An was könnte das liegen?

Beritelli: Bei Nahrungsmitteln ist die Logistik sehr komplex, wie das Beispiel der Kühlketten zeigt. Früher war das schwieriger, aber heute kann man Produkte aus der ganzen Welt importieren. Trotzdem setzt der Schweizer Konsument auf Regionalität, da Nähe eine zentrale Rolle spielt. Er weiss, was dahintersteckt.

Gibt es hier regionale Unterschiede?

Beritelli: Unterschiede gibt es eher bezüglich des Alters, aufgrund von Erfahrungen und Informationen, die man hat. Je älter man ist, desto eher weiss man, was gut für einen ist. Junge wollen eher etwas ausprobieren und legen sich erst später fest.

Sollten sich also Landwirte auf dem Markt in der Stadt zeigen?

Beritelli: Absolut.

Wie soll man sich darstellen? Sie sagten zu Beginn, dass Produkte authentisch sein sollen. Soll ein Landwirt also in Arbeitshosen auf den Markt gehen?

Beritelli: Ich persönlich finde ja. Man soll authentisch zeigen, wer der Produzent ist. Aber auch eine schöne Präsentation der Produkte ist sehr wichtig und man kann auch zeigen, dass beispielsweise nicht jede Tomate die gleiche Form hat. Für die Wiedererkennung des Produzenten ist aber ein Brand wichtig.

Wie wird man kostengünstig präsent beim Konsumenten?

Beritelli: Als Beispiel: Ich selbst gehe gerne wandern und die Wege führen oft direkt an Bauernhöfen vorbei. Hier kann man meist etwas kaufen. Einige präsentieren ihre Produkte sehr gut und schmackhaft, andere stellen einfach das hin, was sie noch haben. Das merkt man. Natürlich kann und soll man das machen, aber man muss es einladend gestalten. Der Konsument soll schauen, wie die Produkte präsentiert werden. Dies darf natürlich auf dem Betrieb nicht stören. Das ist ein kleiner Aufwand, der sich lohnt. Ich kaufe, weil ich weiss, woher das Produkt kommt und schon nur deswegen schmeckt es gut. Die Psychologie des Konsumenten lässt sich unheimlich gut nutzen.

Wenn man diese Möglichkeit nicht hat, macht es Sinn, Social Media zur Kommunikation zu nutzen?

Beritelli: Dies wird sehr viel gemacht, aber der Aufwand scheint nicht in einem positiven Verhältnis zum Nutzen zu stehen. Was wir aber im Tourismus gesehen haben, ist, dass der Absender und nicht der Kanal im Mittelpunkt steht. Wenn man jemanden persönlich kennt und diesem etwas empfiehlt, nimmt man diese Empfehlung eher wahr. Wenn der Absender eine Firma ist, ist man neutral.

Wie nutzt man das als Landwirt?

Beritelli: Als Landwirt sollte man als erstes schauen, dass man in Kontakt mit dem Konsumenten kommt. Nachher ist es wichtig, im Dialog mit ihnen zu stehen. Dann kennen sie ihren Produzenten und der ist glaubwürdig. Der persönliche Kontakt ist der wichtigste Kanal.

Wie wird man als Landwirt Marke-ting-Experte?

Beritelli: Der Landwirt ist von Natur aus ein Marketing-Talent, denn er hat den Kontakt zum Produkt, er arbeitet nur dafür, setzt sein Leben und sein Geld dafür ein. Somit kann er das Produkt authentisch repräsentieren.

Was ist das Geheimnis des Marketing?

Beritelli: Marketing ist marktorientierte Unternehmensführung. Man muss wissen, was der Markt will und beantworten können «Was hät de Chund devo?». Also stets wach bleiben, Augen und Ohren offen halten, spüren und vor allem fragen, was der Konsument davon hält. Rückmeldungen sind die beste Marktforschung. 

Interview: Gabriela Küng, UFA-Revue, 8401 Winterthur

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