Wenn Fritz Stettler früh am Morgen das Haus verlässt, dröhnt im Maschinenraum die Vakuumpumpe bereits auf Hochtouren. Routinearbeiten wie melken, tränken, füttern oder misten hat der Landwirt seinen Angestellten übertragen. Bei 130 Milchkühen beläuft sich auf dem Betrieb bei Frauenfeld im Kanton Thurgau alleine schon die Melkzeit auf sechseinhalb Stunden täglich. «Wenn ich selbst in den Melkstand hinabsteigen würde, könnte ich daneben nicht mehr viel erledigen», erklärt Stettler die Arbeitsorganisation auf seinem Milchwirtschafts- und Ackerbaubetrieb.
Der Landwirt hat Erfahrung in Sachen Personalführung. Als sich 2014 der frühere Partner aus der damaligen gemeinsamen Betriebsgemeinschaft (BG) mit einem Teil der Tiere zurückzog, bestand der Stall bereits. Stettler stockte seine Herde wieder auf. Um das Risiko eines Arbeitsausfalls zu minimieren, suchte er statt eines Festangestellten drei ausländische Arbeitskräfte.
Zu seiner Belegschaft zählen heute ein Schweizer Landwirt mit EFZ-Abschluss und vier Teilzeitangestellte aus Rumänien, die ihre Schweizer Arbeitseinsätze saisonal untereinander abtauschen. Sein Betrieb bietet zudem eine Lehrstelle an. Eine Hauswirtschaftsangestellte hält das Wohnhaus in Schuss und kocht für die Belegschaft. Stettler selbst kontrolliert, rechnet, kommuniziert, kümmert sich um die Zucht und bezeichnet sich selbst als «ersten Ersatz», wenn jemand aussteigt oder wenn es irgendwo klemmt.
Schrittweise in die Arbeitgeberrolle
Mit insgesamt gut 66 Hektaren landwirtschaftlicher Nutzfläche zählt sein Hof zu den grösseren, und davon gibt es immer mehr. 2020 gaben, gemäss Bundesamt für Statistik, Woche für Woche durchschnittlich 13 Betriebe auf. Die landwirtschaftliche Nutzfläche der verbleibenden wuchs in derselben Zeit um durchschnittlich 29 Aaren. Immer häufiger stehen Betriebsleiterinnen und Betriebsleiter vor dem Schritt, familienfremde Arbeitskräfte anzustellen (siehe Grafik).
Diese Entwicklung macht sich auch in der landwirtschaftlichen Weiterbildung bemerkbar. «Das Modul Personalführung als Bestandteil der Betriebsleiterschule ist bei uns sehr gefragt», bestätigt Adrian von Grünigen vom Arenenberg, Beratung Landwirtschaft, im Kanton Thurgau, «für viele Landwirtinnen und Landwirte ist der Rollenwechsel vom selbstständigen Unternehmer zum Arbeitgeber eine Herausforderung.» Aus seiner Tätigkeit als Dozent und Berater in Betriebswirtschaft weiss von Grünigen, dass so manch einen die Frage plagt: «Kann ich mir eine Arbeitskraft überhaupt leisten?» Von Grünigen rät zu einem stufenweisen Einstieg: «Vorübergehend kann auch der Einsatz eines Lohnunternehmers die Arbeitsspitzen brechen.»
Adrian von Grünigen, Arenenberg«Angestellte wollen und dürfen nicht dem unternehmerischen Risiko ausgesetzt werden»
Für unregelmässige Einsätze oder sehr befristete Anstellungen bis zu drei Monaten kann gemäss Adrian von Grünigen das Stundenlohnmodell sinnvoll sein. So bleibt das finanzielle Risiko überblickbar, und man sammelt bereits Erfahrungen im Umgang mit familienfremden Arbeitskräften. «Angestellte wollen und dürfen nicht dem unternehmerischen Risiko ausgesetzt werden», sagt der Experte. Eine Festanstellung kommt infrage, wenn die Arbeitsauslastung auf dem Betrieb konstant und die Liquiditätsreserve übers ganze Jahr genügend gross ist.
Personal organisieren, bevor es brennt
Für viele Betriebe kündige sich ein Ausbau beispielsweise aufgrund einer Übernahme meist frühzeitig an. Diesen Vorsprung gilt es zu nutzen, rät der Thurgauer Landwirt Fritz Stettler: «Personal muss man bereits vor der Übernahme organisieren.» Da man im Voraus nicht weiss, ob nach der Übernahme alles nach Plan läuft, winkt auch Stettler ab beim Thema Festanstellung: «Zu Beginn wäre das Risiko viel zu gross.» Hinzu komme, dass die Personalsuche in der Landwirtschaft ohnehin schwierig sei. Er selbst setzt auf sein eigenes Netzwerk. «Meine rumänischen Hilfskräfte kommen alle aus derselben Gegend in Siebenbürgen.» Wenn er eine weitere Arbeitskraft brauche, lasse er sich jemanden aus ihrem sozialen Umfeld empfehlen. So sei eine gewisse Garantie gegeben.
Realistisch bleiben
Im Gespräch mit der UFA-Revue hebt Stettler hervor, dass man keine falschen Erwartungen an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Ausland stellen darf – und damit meint er nicht deren Fachkompetenz. In der Regel seien ausländische Arbeitskräfte mit der Landwirtschaft nämlich bestens vertraut. «Sie streben aber keine Zukunft in der Schweiz an», sagt er, «sie kommen zu uns, weil sie hier für ihre Verhältnisse viel Geld verdienen, das sie in Projekte in ihrer Heimat investieren. Und irgendwann gehen sie dann für immer zurück.» Damit müsse man einverstanden sein, dann sei dies ein Gewinn für beide Seiten. Sie verzichten gleichzeitig auch auf viel.
Fritz Stettler, Landwirt«Mindestens für einen Monat ist man im ‹Seich›.»
Mit dem Personalwechsel muss man auch bei festangestellten Arbeitskräften mit EFZ-Abschluss rechnen, gibt Adrian von Grünigen vom Arenenberg zu bedenken: «Oft sind es junge Landwirtinnen und Landwirte, die auf einem Fremdbetrieb Erfahrungen sammeln wollen, bevor sie den elterlichen Hof übernehmen.» Wer faire Arbeitsbedingungen schaffe und einen technisch interessanten und abwechslungsreichen Betrieb habe, finde immer wieder gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auch einmal länger als nur zwei Jahre bleiben.
Die ersten Monate sind streng
Bis jemand von aussen die betriebliche Routine kennt, lässt die ersehnte Entlastung auf sich warten. «Mindestens für einen Monat ist man im ‹Seich›», mahnt Stettler. Je nach Herkunft der Arbeitskraft können sprachliche Barrieren die Einarbeitungsphase noch verlängern. «Wer bereit ist, zu Beginn genügend Zeit zu investieren, profitiert Wochen später von ersten Freiräumen.» Stettler bekam so Luft für den Aufbau neuer Betriebszweige und sein Engagement in verschiedenen Behörden und Organisationen. Und manchmal schätzt er es einfach auch, dass er sich für den Morgenkaffee etwas mehr Zeit lassen kann als früher.
«Die grösste Konkurrenz der Landwirtschaft ist die Baubranche»
UFA-Revue: Früher vermittelten Sie ausländische Arbeitskräfte aus dem Osten. Warum findet man dieses Angebot auf Ihrer Website heute nicht mehr?
Stefan Brandenburger: Seit der EU-Osterweiterung profitieren EU- und EFTA-Bürgerinnen und -
Bürger von der Personenfreizügigkeit. Sie haben sich längst über das Internet und die sozialen Medien organisiert. Sie klopfen bei Betrieben an, die für sie interessant sind.
Und wenn bei mir niemand anklopft, stehe ich dann im schlimmsten Fall alleine da?
Mit dem Mindestlohn und einem Containerbett lockt man heute kaum mehr jemanden aus Europa an. Die grösste Konkurrenz der Landwirtschaft ist die Baubranche. Dort verdienen die Leute mehr, haben kürzere Arbeitstage und freie Wochenenden. Wer gut zahlt und die Leute fair behandelt, wird bedient. So läuft das Geschäft.
Wie komme ich an gute Leute, wenn ich Neuling bin und noch gar keinen Ruf habe?
Als Einsteigerbetrieb kommt man über gängige Stellenvermittlungsportale an Saisonarbeitskräfte. Der Schweizer Bauernverband vermittelt auch saisonale Arbeitskräfte im Rahmen eines Praktikums. Dort findet man auch alle weiteren Informationen.
Und wenn ich an einer längerfristigen Zusammenarbeit interessiert bin?
Hat man während einer Saison mit jemandem gute Erfahrungen gemacht und stimmen die Bedingungen, kommen die Arbeitskräfte wieder und vermitteln auch gerne weitere Leute aus ihrer Heimat. Will jemand aus einem Drittstaat (vorwiegend Ukraine und Russland) erneut für 18 Monate kommen, übernimmt Agroverde gerne das Bewilligungsverfahren.
Weiterführende Links
- www.sbv.ch ➞ Arbeitskräftevermittlung
- www.agrimpuls.ch ➞ Praktikum in der Schweiz
- www.agroverde.ch ➞ über uns