Die Alp bietet jungen Menschen – nebst der körperlich anstrengenden Plackerei – manche Chancen. Zum Beispiel die, Erfahrungen zu sammeln über das, was im Leben wirklich zählt: sich selbst besser kennenlernen, die Alltagsmaske einmal fallen lassen, entschleunigen, zufrieden sein. Es ist auch die Chance, ein ursprüngliches Dasein kennenzulernen. Das Leben auf der Alp ist noch fast dasselbe, welches die Menschen schon vor Jahrhunderten führten.
Es lässt Verständnis und auch etwas Bewunderung aufkommen für eine Tradition, die es verstanden hat, im kargen Grasland zwischen den Felsen Lebensgrundlagen zu schaffen und Produkte wie Milch, Käse und Fleisch zu produzieren. Und Vorsicht: Älplern kann süchtig machen. Es scheint eine Art Alp-Virus zu geben, der Frau und Mann rückfällig werden lässt. Viele wollen die majestätische Ruhe der Bergwelt hoch über dem Trubel im Tal wieder erleben, die pure Natur und die anspruchsvolle Arbeit mit den Tieren, bei der sie gelegentlich an ihre Grenzen stossen. Trotz all der Anstrengungen wollen sie wieder da hoch.
Auszeit auf der Alp
Die grossartige Natur, die Käsefondues und die fantastischen Sonnenuntergänge liessen Katharina Afflerbach schon seit ein paar Jahren jeweils in den Ferien als Touristin in den freiburgischen Sense-Bezirk am Gantrisch reisen. Seit zwölf Jahren war das Leben der Touristikmanagerin aus Eichen bei Kreuztal in Deutschland bestimmt von Meetings, Telefonkonferenzen und Dienstreisen. Zur Erholung zog es sie immer wieder in die Alpen. Als sie sie sich entschloss, den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen, entschied sie sich spontan, sich zum Auftakt für vier Monate auf das harte Leben einer Älplerin einzulassen. Ihr Reich wurde für einen Sommer lang die Alp Salzmatt der Familie Aeby im Freiburgischen.
Was hat dich die Alp gelehrt?
Katharina Afflerbach: «Als allererstes ist mir aufgefallen, dass nicht viel diskutiert wird auf der Alp. Und dass wirklich jede Hand gebraucht wird. Es ist immer klar, was Priorität hat: die Tiere – und das Wetter bestimmt das Programm. Das Ziel der Arbeit ist zu jedem Zeitpunkt klar: Der Stall muss ausgemistet, der Zaun geflickt, die Tiere gefüttert und gemolken werden – Punkt. Und dabei ist völlig egal, wer was macht, denn es gibt da oben keine Arbeit, die mehr oder weniger wert ist, oder die mehr oder weniger Ansehen hätte. Oben auf der Alp habe ich tatsächlich die beste Teamarbeit meines Lebens kennengelernt. Das lag bestimmt auch daran, dass jeder echte Verantwortung trägt. Unerwartet neue Situationen erfordern es, sich sofort darauf einstellen. Wenn Dir im Nebel ein Rind fehlt und du entdeckst ein Loch im Zaun, gibt es kein langes Zaudern: Nur eine konzentrierte Aktion – augenblicklich.»
Bescheidener Luxus
Die Mittdreissigerin Katharina Afflerbach wusste schon, was sie auf der Alp erwartete: Bereits im Sommer zuvor hatte sie auf einem Bergbauernhof in Südtirol in die Landwirtschaft hinein geschnuppert. Aber die ersten Wochen auf der Salzmatt wurden dennoch zäh. «Eine ganz neue Welt lernte ich kennen – die der harten, körperlichen Arbeit» berichtet Katharina. «Aber es geht dabei nicht um ein Abschalten des Geistes, sondern vielmehr um ein Reduzieren und ein Konzentrieren.»
Die Älplerin aus Passion ist sich bewusst, dass sie es auf ihrer Alp sogar vergleichsweise komfortabel angetroffen hat. Das Leben in der Hütte in 1640 Metern Höhe war nicht so karg, wie in anderen Hoch-Alpen: Die Salzmatt hat elektrischen Strom und eine geteerte Strasse ermöglicht das Hochfahren mit Fahrzeugen. Sog
ar der eine oder andere bescheidene Luxus kann genossen werden, wie frisches Brot, warmes Duschwasser und – bei gutem Wetter – auch Handy-Empfang.
Arbeit mit den Tieren
Neun Kühe, 20 Ziegen, fünf Rinder und fünf Kälber sind es jeweils, mit denen die fünfköpfige Familie Aeby z’Alp fährt: Zusätzlich zu diesen eigenen Tieren betreuen sie den Sommer auf den Salzmatt-Weiden über noch 100 Rinder anderer Bauern.
Die frische Kuhmilch wird in einer nahen Alpkäserei zu Mutschlis und Vacherin verarbeitet. Aus der Ziegenmilch machte die Familie selbst Ziegenkäse. Katharina Afflerbachs Aufgaben waren das Melken und das Waschen des Melkgeschirrs und der Milchkannen, das Misten, das Füttern von Kälbern, das Brennholz hacken sowie das Kontrollieren der Brunnentröge und der Weidezäune.
Zudem half die Managerin in der auf dem Hof betriebenen Buvette aus, wo Wanderer und Mountainbike-Sportler bewirtet werden. Am liebsten aber war sie den ganzen Tag draussen vor der grandiosen Alpenkulisse mit den Tieren, wo sie intensiv körperlich beansprucht wurde. Die Eingewöhnungszeit war durchaus schmerzhaft. Am meisten spürte sie es in den Beinen, da das ständige Auf und Ab im steilen Gelände sich abends bemerkbar machte. Doch nachdem diese Krise konditionell überwunden war, ging es leichter: «Ich war fasziniert, wie schnell mein Körper sich veränderte», sagt sie. Vom Mähen, Sägen, Misten und Melken seien ihre Arme deutlich kräftiger geworden.
Wertvolle Erfahrungen
Was das Alpleben mit sich bringt: Beim ersten Tageslicht aufstehen – ein karges, urtümliches Leben ohne Fernseher, ohne Kneipe, ohne Internet. Kein Luxus – aber dafür die Freiheit, sich seine Zeit frei einzuteilen, die Arbeit so zu machen, wie es einem selbst richtig scheint.
«Die Arbeit mit den Tieren ist auch emotionell, du bekommst von diesen viel zurück. Und auch von den Eigentümern der Rinder, welche im Herbst nach der Alpabfahrt ihr wohlbehaltenes Jungvieh zurückerhalten. Wenn sie auch karg mit Lob sein mögen, das Leuchten in ihren Augen beim Wiedersehen mit ihren Tieren, oder gar das feuchte Schimmern in den Augenwinkeln, lässt dich ein paar Unpässlichkeiten der Saison schnell vergessen.
Auf die viermonatige aktive Auszeit zurückblickend sagt Katharina Afflerbach: «Ich habe mich richtig entschieden und bin für all die Erfahrungen und Erlebnisse dankbar. Die Bergbauern zeigen einem, wie mit einfachsten Mitteln ein glückliches und erfolgreiches Leben gestalten werden kann, fernab von fremd-bestimmten Zwängen und vermeintlich zwingenden Notwendigkeiten des Internet-Zeitalters.»