Vor Kurzem wurde auf der Abendkarte eines Restaurants mitten im Herzen von Basel ein alkoholfreier Grauburgunder zum Menü empfohlen. Während beim Bier die alkoholfreie Variante akzeptiert ist, herrscht beim Wein oft Misstrauen. Da kommen Sprüche, ob es nicht auch ein Glas Traubenmost tut. Nach einem Geschmackstest des Grauburgunders wird aber schnell klar, dass dem nicht so ist. Es ist ein vollkommen neuer Geschmack – nicht Most, aber man merkt, dass etwas anders ist. Der Wein ist frisch, leicht und säuerlich-süss, ohne das vertraute, dezente Brennen, das sonst im Hals zu erwarten ist.
Keine neue Idee
Aber was schwenkt man nun im Glas? Etwas Licht ins Dunkel bringt die eigentlich korrektere Bezeichnung «Entalkoholisierter Wein». Denn es ist tatsächlich ein alkoholhaltiger, normaler Grundwein, dem der Alkohol nachträglich entzogen wurde. Erlaubt ist dabei ein Restalkoholgehalt von bis zu 0,5 Prozent. Dazu gibt es zwei gebräuchliche Verfahren: die Umkehrosmose und die Vakuumdestillation. Letzteres wurde vom deutschen Winzersohn Carl Jung Anfang des 20. Jahrhunderts zur Herstellung von entalkoholisiertem Wein und Schaumwein patentiert. Er stammte aus Rüdesheim am Rhein. Schon in der Römerzeit wurde hier Weinbau betrieben. Jungs Credo soll folgendes gewesen sein: Wein braucht Geschmack, keinen Alkohol.
Zwei Verfahren, um Alkohol zu entziehen
Bei der Vakuumdestillation wird dem Grundwein im Vakuum bei Temperaturen von etwa 30 °C der geschmacksneutrale Alkohol entzogen. Hier macht man sich zunutze, dass der Alkohol einen deutlich niedrigeren Siedepunkt hat als die anderen Stoffe im Wein, weshalb er zuerst verdampft. Dieses Verfahren ermöglicht aufgrund der niedrigen Temperatur, dass die Aromen und Duftstoffe im Wein erhalten bleiben. Zudem kühlt sich der verdampfte Alkohol in einem Kondensator wieder ab und kann für andere Zwecke verwendet werden.
Ein weiteres Verfahren zum Entzug von Alkohol ist die Umkehrosmose. Dabei werden Aromastoffe und Phenole aus dem Wein über eine Membran gefiltert, bevor dem Konzentrat durch Destillation der enthaltene Alkohol entfernt wird. Anschliessend wird dem Konzentrat das beim Prozess entzogene Wasser zurückgegeben. Dieser Prozess kann mehrere Durchgänge erfordern, braucht viel Wasser und ist kostenintensiv. Zudem kann das Ethanol nicht weiterverwendet werden.
Dem Wein wird der Alkohol nachträglich entzogen.
Der Grundwein muss gut sein
Theoretisch könnte aus jedem Wein ein entalkoholisierter Wein gewonnen werden. Trotzdem müssen die Grundweine besonderen Ansprüchen genügen, erklärt Karin Kupper, Productmanagerin bei Rutishauser Divino. «Alkohol ist ein Geschmacksträger und wichtig für das Mundgefühl. Mit Mundgefühl meint die Productmanagerin dieses leicht dickflüssige, viskose Gefühl beim Trinken von Wein. Dieses fehlt bei entalkoholisiertem Wein, kann aber kompensiert werden, indem das Aroma im Vordergrund steht oder etwas Süsse vorhanden ist. Daher sollte der Grundwein eine gewisse Qualität aufweisen. Günstig ist hier die Verwendung sogenannter Aromasorten: Rebsorten, welche eine intensive Aromatik mitbringen.» – «Ein Wein, mit intensiver Fruchtaromatik ist der Sauvignon Blanc», so Kupper. Beim Rotwein wird es schon schwieriger, den Alkohol geschmacklich zu kompensieren, besonders, da er die Schwere ausmacht, welche viele schätzen. Bei Schaumwein sei es leichter, auf Alkohol zu verzichten, da wiederum die Kohlensäure für Struktur sorgt. Manche Hersteller arbeiten auch mit sogenannten Botanicals. Das sind Gewürze als Zusatz. Doch solch ein Produkt mit Zusätzen darf nicht als Wein bezeichnet werden.
Wer trinkt alkoholfreien Wein?
Dass Schwangere oder Fahrzeuglenkende auf Alkohol verzichten sollten und daher eine Zielgruppe für entalkoholisierten Wein sind, ist naheliegend. Aber auch jene, die einen gesunden Lebensstil anstreben, sind eine Zielgruppe – und zwar eine, die stetig wächst. Ein alkoholhaltiger Wein ist zudem hochkalorisch und besitzt pro 100 ml bis zu 100 kcal, wobei Rotwein den Weisswein übertrumpft. Die entalkoholisierte Variante besitzt hingegen nur etwa 20 kcal je 100 ml.
Mit Aktionen wie dem «Sober October» (nüchterner Oktober) oder Dry January (trockener Januar) wird der Verzicht auf Alkohol zur Gruppenaktion. Die Zahlen zum Alkoholkonsum zeigen ebenfalls in eine deutliche Richtung (siehe Grafik). Gemäss der Statistik des BLW trinken die Menschen in der Schweiz von Jahr zu Jahr weniger Wein. In den Jahren 2020 bis 2023 ging dieser Rückgang auf Kosten des Rotweins.
Wird sich Wein ohne Promille durchsetzen?
Ob sich entalkoholisierter Wein etablieren wird, steht noch in den Sternen. Karin Kupper berichtet, dass sie ein kleines Angebot an entalkoholisiertem Wein bei Rutishauser Divino anbieten, da es Kundschaft gebe, die danach frage. Und auch im Weinregal eines Schweizer Detailhändlers zeigt sich, dass der fast prozentfreie Wein seinen Weg ins Regal neben denjenigen mit Alkohol geschafft hat. Nur ein kleiner blauer Zettel, welcher am Regal neben der Herkunftsbezeichnung angebracht wurde, zeigt, dass es sich um entalkoholisierten Wein handelt. Bisher wird aber noch kein entalkoholisierter Schweizer Wein im Handel angeboten.
Ob sich ein solcher Wein durchsetzen wird, kommt sicher auch darauf an, wie sich die schon sehr gute Qualität weiter steigert und ob sich die Konsumenten trauen, einmal solch einen Wein vorurteilsfrei zu kosten. Denn Weinkonsum ist stark mit Traditionen, einem Gefühl von Wertigkeit und Emotionen verknüpft.
Irrtümer über entalkoholisierten Wein
... ist alkoholfrei
In der EU darf alkoholfreier Wein bis zu 0,5 Prozent Restalkohol enthalten.
... schmeckt genauso wie normaler Wein
Entalkoholisierte Weine kommen nahe an den typischen Geschmack heran, wirken aber oft leichter und weniger komplex.
... ist immer süsser
Nicht jeder alkoholfreie Wein ist automatisch süss. Es gibt ihn auch in trockenen Varianten.
... kann nicht schlecht werden
Wie normaler Wein kann auch alkoholfreier Wein oxidieren und schlecht werden, besonders nach dem Öffnen.
... ist dasselbe wie Traubensaft
Alkoholfreier Wein wird aus fermentiertem und dann entalkoholisiertem Wein hergestellt, während Traubensaft direkt aus frischen Trauben gepresst wird. Geschmack und Inhaltsstoffe unterscheiden sich deutlich.
... kann nicht gelagert werden
Alkoholfreie Weine können eine Weile gelagert werden, haben aber ein Mindesthaltbarkeitsdatum.
... ist viel günstiger als normaler Wein
Alkoholfreier Wein ist oft genauso teuer oder teurer, da die Herstellung, vor allem durch den Entalkoholisierungsprozess, aufwendig ist.