Im April war die Stimmung bei Claudia und Jakob Schwager gedrückt und bei den Straussen, die wegen der Vogelgrippe zu diesem Zeitpunkt schon seit fast fünf Monaten im Stall hockten, ebenso. «Es ist zum Verrücktwerden», sagt Jakob Schwager. Er akzeptiere die Schutzmassnahmen des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und verstehe, dass diese vom Veterinäramt des Kantons Thurgau auch kontrolliert werden. Hingegen seien er und seine Frau täglich mit den Straussen zusammen und sehen, wie diese die Lebenslust verlieren. Auch wenn sie genügend Platz im Stall haben, sei ihnen langweilig, und sie beginnen untereinander zu streiten. Claudia Schwager vergleicht die eingestallte Zuchtgruppe und die Aufzuchttiere mit Kindern, welche nicht nach draussen zum Spielen können: «Sie werden chribbelig, greifen einander an und suchen Streit und ihren sozialen Platz in der Gruppe. Das alles auf ziemlich engem Raum und nicht auf der zwei Hektaren grossen, umzäunten Wiese, die den Tieren seit gut fünf Jahren zur Verfügung steht.» Man bedenke, dass die Laufgeschwindigkeit dieser Tiere bis zu 70 Stundenkilometer beträgt, fügt Jakob Schwager an. Jetzt seien sie seit fünf Monaten zum Nichtstun verdammt. Das ginge nicht nur den Menschen, sondern auch den Tieren an die Substanz.
Ein zusätzliches Standbein
Claudia und Jakob Schwager haben den Milchwirtschaftsbetrieb im Jahr 2010 von Jakobs Eltern übernommen. Vor ein paar Jahren, als sich der Milchpreis immer weiter nach unten bewegte, habe man sich nach einem zusätzlichen Standbein umgeschaut, erzählt das Paar. So sei man schliesslich bei den Straussen gelandet. Der Weg bis zum Start war lang und das Bewilligungsverfahren mühsam. Der Landwirt absolvierte eine Weiterbildung zur artgerechten Haltung dieser Wildtiere in Deutschland und in der Schweiz. Die Zusammenarbeit mit dem zuständigen Veterinäramt schildern sie als eher schwierig, viele Wechsel bei den Zuständigen, wenig Erfahrung mit Wildtieren, und nun im Zusammenhang mit der Vogelgrippe spüren sie die restriktiveren Massnahmen massiv. Auch wenn Schwagers ihre Strausse lieben und nicht auf sie verzichten möchten, sind sie heute nicht mehr ganz so sicher, ob sie das Wagnis wieder auf sich nehmen würden.
Jakob Schwager«Man bedenke, dass die Laufgeschwindigkeit dieser Tiere bis zu 70 Stundenkilometer beträgt.»
Viel Fingerspitzengefühl und Glück
Da das Naturbrüten bei Straussen recht schwierig ist und lebende Jungtiere ziemlich selten sind, probierten Schwagers vor drei Jahren das erste Mal, Eier in einem Brutkasten auszubrüten. 42 Tage müssen diese Eier gehegt und gepflegt werden. Die Zahl der Jungtiere, die bei ihnen erfolgreich geschlüpft sind, lässt sich sehen. Noch immer kriege sie Gänsehaut, wenn die Brutzeit vorbei ist und sich das Schlüpfen mit Rissen auf dem ungefähr 1500 Gramm schweren Ei anmeldet, erzählt Claudia Schwager. Später höre man das Klopfen des Kükens, das die harte Schale mit dem hinteren Teil des Nackens aufzubrechen versucht. Es brauche viel Fingerspitzengefühl und eine grosse Portion Glück, bis das «Bibeli», zerzaust und mit feuchten Federchen, fransigen Putzfäden ähnlich, auf dem weichen Frotteetuch landet. In diesem Jahr verzichteten Schwagers wegen der Vogelgrippe auf das Ausbrüten im Brutkasten. Im Moment seien fünf Straussendamen und Hahn Enzo am natürlichen Ausbrüten. Ob sie das grosse Glück erleben, ein natürlich ausgebrütetes Küken in Empfang nehmen zu können, sei ungewiss, aber nicht ganz ausgeschlossen.
Tiere entwickeln wenig Muskelmasse
Nach 14 Monaten sind die Strausse ungefähr 120 Kilogramm schwer und werden zum Metzger geführt. Dieser Vorgang müsse ruhig und stressfrei verlaufen, damit die Tiere kein Adrenalin bilden und somit das Fleisch Abstriche erleide, schildert die Bäue rin. Deshalb waren sie bislang froh, bei einem Metzger im Nachbardorf die Tiere schlachten zu können. Leider sei der Fortbestand der Metzgerei nun gefährdet, weil der Inhaber Infolge seiner Pensionierung aufhört. Später werde das Fleisch konfektioniert und im eigenen Hofladen verkauft. Die Nachfrage sei riesig, erzählt Claudia Schwager. Die Kundschaft liebe das gesunde, cholesterin- und fettarme Fleisch, das optisch dem Rindfleisch ähnle, geschmacklich aber zwischen Rind- und Pferdefleisch einzuordnen sei. Preislich sei Straussenfleisch mit Kalbfleisch vergleichbar. Aus den Schlachtabfällen werde Hundefutter hergestellt. Ob der Hausarrest der Strausse und der fehlende Auslauf mit frischem Gras einen Einfluss haben auf die Fleischqualität, wissen sie noch nicht. Sicher aber sei, dass die Strausse das normale Schlachtgewicht nach 14 Monaten bei Weitem nicht erreichen werden. Durch den mangelnden Auslauf fehle den Tieren die Muskelmasse, und auch bei guter Fütterung im Stall konnten sie die Fleischmasse nicht aufbauen. Die Tiere kriegen hofeigenes, gehäckseltes Heu, wenig mineralisiertes und vitaminisiertes Kraftfutter und Rundkies, das die exotischen Vögel in ihrer Nahrung brauchen, um das Futter zu verwerten. Weil ihnen die Magensäfte fehlen, helfe ihnen der Kies, das Futter zu vermahlen, um es überhaupt zu verdauen.
Nachtrag: Mit der Aufhebung aller Schutzmassnahmen zum 1. Mai dieses Jahres dürfen sich die Strausse auf einen Frühling und Sommer auf der Weide freuen.
Ein Vogel, der nicht fliegt, aber allen davonläuft
Der Strauss kommt ursprünglich aus Asien und ist ein Pflanzenfresser. Bei Gefahr steckt er aber nicht den Kopf in den Sand, sondern ergreift die Flucht. Dabei ist ihm seine Laufgeschwindigkeit von bis zu 70 Stundenkilometer dienlich.
Bei der Zucht werden die Eier während 42 Tagen bei 36,5 °C im Brutapparat ausgebrütet. Während das Ei stolze 1500 g wiegt, wiegt das Jungtier 600 bis 700 g. In der Schweiz gibt es ungefähr ein Dutzend Betriebe mit Zuchttieren. Die Strausse erreichen nach 14 Monaten ein Lebendgewicht von 120 kg.
Weitere Infos: www.schwager-strauss.ch