Auf dem Oberstammheimer Weingut Stammerberg der Familie Strasser ist vieles nicht so, wie man es von konventionellen Weingütern kennt. Hier ist der Traum des Betriebsleiters mit den wieder entdeckten pilzresistenten Traubensorten (PiWI) Realität. Der 62- jährige Gastgeber und Agronom Fredi Strasser ist im angrenzenden thurgauischen Nussbaumen auf einem Bauernhof aufgewachsen und studierte Agronomie. Als Lehrer im Bereich des Biolandbaues, Berater und Weinbauer hat sich während über drei Jahrzehnten rund um den biologischen Landbau mit Schwerpunkt Weinbau ein reiches und breites Wissen angeeignet.
Jetzt hat er als Autor seine reichen Erfahrungen aus der Praxis und fachlichen Kenntnisse in Buchform zusammengefasst, wo es aber weitaus mehr als nur um pilzresistente Pilzsorten, sondern um eine ganzheitliche Betriebsphilosophie des biologischen Landbaues mit Demeter geht. All dies, was er auf Betrieb vor- und nachlebt, ist in seinem Buch festgehalten.
Der Querdenker hat mit vielfältigen Rebbergen naturnahe und nachhaltige Kreisläufe geschaffen. In einer neu angelegten Querterrassenanlage sorgen fünf weidende Pferde dafür, dass auch mit drei Weidegängen die Böschungen ohne Mechanik gemäht werden. In einer weiteren Parzelle übernehmen diese Arbeit die Schafe. Doch nebst dem Sortenspiegel mit neuen und alten PiWi-Sorten für Weisswein ist es das grosse biodiverse Netzwerk, welches es von anderen Weingütern abhebt. So ist auf dem Weingut in enger Zusammenarbeit und auch mit finanzieller Unterstützung von BirdLife ein lebendiger Rebberg mit vielfältig angelegten Strukturen entstanden. Gezielt sind mit verschiedenen Massnahmen, für Rebberge typische, Brutvögel und Reptilien gefördert worden. Mit dem Anlegen von Nischen ist auch Lebensraum für Insekten und Kleintiere geschaffen worden. So sind Trockenmauern und Steinlinsen angelegt und Wildrosen gepflanzt worden, um Unterschlupf und Nahrungsquellen für Insekten, Reptilien und Brutvögel zu schaffen.
Vielfältige Ruderalflächen und blumige Magerwiesen tragen ebenfalls zur Biodiversität bei, indem damit auch wertvollen Lebensraum für viele Nützlinge geschaffen werden, welche im biologischen Landbau zur natürlichen Bekämpfung von Schädlingen als Gegenspieler unerlässlich sind. Auch bei der eigentlichen Bodenpflege zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit in den Rebgassen geht Strasser seinen eigenen Weg. Gezielt wird in jede zweite Fahrgasse Luzerne eingesät, welche den wertvollen Stickstoff aus der Luft holt und ihn im Boden mit ihren Knöllchenbakterien so umwandelt, dass er von den Rebenwurzeln als wertvoller, natürlicher Nährstoff aufgenommen werden kann. Doch auch beim eigentlichen Anbausystem und der Stockpflege grenzt er sich mit breiteren Fahrgassen, grösseren Stockabständen und dem Einsatz von ganzwandigen Hagelschutz- und KEF-Abwehrnetzen von anderen Anbauformen ab.
Gesammeltes Lebenswerk in Buchform
„Wir machen Bücher wie dieses, welche über den Tag hinaus aktuell bleiben“, hielt Martin Lind vom Berner Verlag Haupt nach dem Rundgang fest. Er zeigte sich überzeugt, dass das hier in Buchform festgehaltene Lebenswerk von Fredi Strasser wegweisend sein wird, weil die PiWi-Sorten im Kommen sind und nun auch in den Regalen der Grossverteiler stehen. „Es ist ein wertvolles Geschichts- und Fachbuch zwischen den Buchdeckeln“, sagte Lind. Als langjähriger Wegbegleiter kam auch der Bündner Alt-Nationalrat und Biobauer Andrea Hämmerle im Buch, wie auch an der Buchpräsentation zu Wort. „Ich habe in den achtziger Jahren den Lehrgang für biologischen Landbau am Strickhof besucht, wo der jüngere ETH-Abgänger Fredi Strasser als Kursleiter unterrichtet hatte“, erinnerte sich Hämmerle zurück. Mit einem Lächeln erinnerte er sich an jenen jungen Biopionier zurück, welcher die Kursteilnehmer mit seinem schnellen Mundwerk und ansteckender Begeisterung in die Philosophie und Technik des biologischen Landbaus einführte. „Fredi Strasser wendet zusammen mit seiner Frau Maria Coray Strasser die theoretischen Kenntnisse selber auf dem familieneigenen Betrieb praktisch an.“
Es ist aber auch die lebenslange Neugier, welche Strasser mit der bekannten Theorie, im Versuch und auch im Irrtum geprägt hat. Doch es war auch die Politik, welche die beiden über Jahrzehnte hinweg verband. „Der Weinbau ist sehr stark reguliert“, rief Hämmerle in Erinnerung und verwies auf den langen Kampf, dass auch gegen den intensiven Wiederstand der traditionellen Weinbauvertreter, neue pilzresistente Sorten in Schweiz angebaut werden konnten.
Das rund 250 seitige Werk trägt aber auch markant die Handschrift von Franziska Löpfe als Mitautorin. Sie führte mit dem Autor viele Gespräche, welche als Interview im Buch festgehalten sind. Sie zeigen das Leben mit seiner Jugendzeit auf dem elterlichen Bauernhof in Nussbaumen, Wirken, Engagement und die gelebte Überzeugung des Autors auf. In einer kurzen Vorlesung kam sie auf die Jugendzeit von Fredi Strasser zu sprechen. Dabei zitierte sie aus seiner Zeit an der Kanti, wo er sich mit dem Stadtjungen Daniel Rüetschi anfreundete. Dieser war es, welcher den kleinen und eher schmächtigen Bauernsohn in viele Geheimnisse der Natur einweihte. „In unseren Gesprächen entwickelten wir Visionen. Meine Neugierde war für immer geweckt. Vor kurzem hat sich der Kreis wieder geschlossen. Dani hat meinen Bioweinbaukurs besucht“, so Löpfe’s Zitat.
„Reben biologisch pflegen, naturreinen Wein geniessen“ ist die zwischen zwei Buchdeckeln festgehaltene und von Jürg Willimann mit vielen Fotografien umrahmten Sammlung der reichen Ernte vom Lebenswerk des Hauptautors.
Autor: Roland Müller