category icon

Landleben

Ein Viehmarkt auf dem Bündner Alpenpass

Es ist der letzte noch existierende Viehmarkt Graubündens auf einem Alpenpass. Seit über 75 Jahren findet die traditionelle «Fiera del Bestiame» auf dem Ospizio Bernina (2307 m ü. M.) statt. Doch die Zukunft des Markts ist ungewiss.

Viehschau auf 2307 Meter über Meer: 23 Kühe und Rinder fanden sich 2023 auf dem Ospizio Bernina GR ein.

Viehschau auf 2307 Meter über Meer: 23 Kühe und Rinder fanden sich 2023 auf dem Ospizio Bernina GR ein.

(Urs Oskar Keller)

Publiziert am

Journalist und Fotograf BR

Auf dem Marktplatz hinter dem Bahnhof Ospizio Bernina stehen 23 prächtige Rinder und Kühe in Reih und Glied. Es sind die Kühe Enka, Sindi und Salva sowie die Rinder Suela, Barilla und Lana. Sie fressen gemütlich Heu, während sich schon ein interessiertes Publikum hinter dem geschichtsträchtigen Gebäude, welches 1865 gebaut wurde, tummelt. Früher war noch mehr los, mit bis zu 80 Tieren, welche zum Verkauf standen.

Jedes Jahr findet Ende August der Viehmarkt statt. Der Platz gehört der Gemeinde Poschiavo. Luigi Guiliani erinnert sich an seine Kindheit, wie die Viehhändler in ihren Arbeitskleidern dort standen und den Handel auf der Wiese abschlossen. Da waren Bauerinnen und Händler im Anzug mit Krawatte und Hut zu sehen. «Wenn man sich einig war, besiegelte man das mit einem Handschlag. Und dann war der Kauf getätigt und das war der Kaufvertrag. Man brauchte nichts zu unterschreiben.» Der Handschlag gilt auch heute noch. Und ist der Handel besiegelt, geht man traditionsgemäss über die Passstrasse, ins Ristorante Cambrena zu Trippa alla Milanese (Kutteln).

Der letzte Viehmarkt seiner Art

Luigi Guiliani leitet den Markt seit über 30 Jahren. «Wir, das heisst vier Bauern, konnten am letzten Markt 2023 insgesamt acht Kühe und vier Rinder für 2200 bis 4200 Franken verkaufen. Der beste Preis wurde für ein vierjähriges Rind, ein original Braunvieh, aus meiner Zucht erzielt. Neben zwei Viehhändlern kauften auch Bauern aus der Region und aus dem Unterland die mehrheitlich trächtigen Tiere» erzählt der stolze Bauer. «Es ist heute der letzte noch existierende Viehmarkt auf einem Bündner Alpenpass», erzählt Luigi. Seit den 1990er-Jahren organisiert er mit seiner Familie die «Fiera del Bestiame» auf dem Ospizio Bernina und verkauft dort auch die eigenen Tiere. Er ist jetzt 65 Jahre alt und übergibt Ende 2024 seinen 50 Hektaren grossen Hof in Pagnoncini bei Le Prese seiner Tochter Silvia (31). Wie es mit dem «Mercato», dem geliebten Viehmarkt, weitergeht, ist noch offen, sagt er wehmütig. Seine Tochter Silvia und die Familie unterstützen Luigi und die einzigartige «Fiera». Die Alpen kennen die Guilianis seit Kindesbeinen an – von zahlreichen Sommern, in denen sie mit einigen Hundert Kühen und Rindern durch die Berge und Weiden im italienischsprachigen Valposchiavo zogen. Luigis Vater Albino Guiliani (1928 – 2012) hat nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Viehmarkt auf dem Pass begonnen.

Viehschauen insbesondere in den ländlichen Gebieten sind ein beliebter gesellschaftlicher Treffpunkt geblieben, der heute nicht nur den Bauernstand, sondern auch weitere Bevölkerungskreise anspricht. So war auch der Verkaufsstand von Lucina Guiliani und ihren Töchtern mit Puschlaver Bio-Produkten wie Käse und Salsiz gut besucht.

alt_text

Stand mit vielen regionalen Spezialitäten am Viehmarkt auf dem Bernina-Pass.

(Urs Oskar Keller)
alt_text

«Wie es mit dem Mercato weitergeht, ist noch offen.» Luigi Guiliani, leitet den Markt

(Urs Oskar Keller)

Keine Viehtransporte mehr

Früher wurde das Vieh zur Sömmerung per Bahn in die Berge transportiert, beispielsweise mit der SBB nach Chur und dann auf die RhB umgeladen. Die RhB (Rhätische Bahn) führte deren gut 1000 Wagen. Die Viehtransporte wurden aber ab 2006 auf dem ganzen Streckennetz der Rhätischen Bahn RhB aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt. Zu diesem Zeitpunkt führte die Bahn gerade noch 94 Viehwagen. Bei der SBB sieht es nicht anders aus. Ein Beispiel: Die Zusammenarbeit mit dem Zirkus Knie wurde per Ende 2022 beendet. Die hohen Investitionen unter anderem in neues Rollmaterial und veränderte Ansprüche an die Transportleistungen hätten dazu geführt, dass trotz intensiver Bemühungen aller beteiligten Partner keine langfristige Lösung gefunden werden konnte.

Ein kulturelles Erbe

Als die Viehhändler Rudolf Peter und Partnerin Christiana Fischer aus Rongellen (GR) vor 31 Jahren an den Bernina-Viehmarkt kamen, gab es noch viel mehr Vieh und Verkaufsstände, erinnern sie sich. «Der gesamte Handel läuft momentan harzig. Unser Viehhandel ist eine Dienstleistung und beruht auf Vertrauen und Beziehung», sagt Rudolf Peter.

Für den Engadiner Bauer Simon Willy aus Champfèr (GR) dient die Herbstviehschau auch dazu, aufzuzeigen, wie sorgsam Landwirtinnen und Landwirte mit ihrem Vieh und den landwirtschaftlichen Nutzflächen umgehen. «Ich habe früher auch Tiere hier verkauft oder dazugekauft. Der Markt ist interessant und man kommt mit vielen in Kontakt. Alles sehr persönlich und ich fahre gerne auf den Pass.»

Elmar Bigger (74), früherer SVP-Nationalrat aus Vilters-Wangs (SG), besucht ebenfalls den Viehmarkt: «Früher kaufte ich hier Tiere. Heute komme ich aus Neugier und als ein Freund der ‹Fiera del Bestiame› auf den Bernina-Pass. Es ist ein Stück Kulturgut.»

Zwar verliert der «Mercato» auf dem Bernina-Pass an Bedeutung, aber bleibt ein kulturelles Erbe und ist bei vielen auch heute noch ein wichtiger Fixpunkt im Veranstaltungskalender.

 

Die Graubünden Vieh AG in Cazis

Im Jahr 2004 hat die Bündner Viehvermittlungs-AG, heute Graubünden Vieh AG, vom landwirtschaftlichen Beratungsdienst die Organisation der öffentlichen Märkte übernommen. 2022 hat die Aktiengesellschaft in Cazis 17 366 Tiere vermarktet. Dabei handelt es sich um Schafe (13 591), Rindvieh zur Schlachtung (2098), Jager (52), Schlachtgitzi (520), Tränke- und Mastkälber (509) und Rindvieh zur Zucht (596). «Die Schafe und das Rindvieh zur Schlachtung wurden ausschliesslich an den von uns organisierten und von uns betreuten öffentlichen Märkten verkauft», bestätigt Christian Parli, Geschäftsführer der Graubünden Vieh AG. Diese finden auf verschiedenen Marktplätzen im ganzen Kanton statt.

Parli: «Das Nutzvieh wird von uns nur von der Bündner Arena aus verkauft. Dies geschieht traditionell im Stall oder an unseren Auktionen. Das Internet wird genutzt, indem sämtliche Angebote auf unserer Seite ersichtlich sind. An den Auktionen kann sogar über das Internet mitgeboten werden.

Das Marktprogramm findet man unter www.graubuendenvieh.ch

Vom Aussterben bedroht

Die vierte Landessprache der Schweiz ist vom Aussterben bedroht. Vallader, Putèr, Sursilvan, Sutsilvan und Surmiran – so heissen die fünf Idiome des Rätoromanischen. Nicht nur die erwähnten Passmärkte, sondern auch Viehmärkte und Regionalschauen mit grosser Tradition an den Orten Thusis, Ilanz oder Schiers werden heute grösstenteils «nur» noch als Warenmärkte durchgeführt. Auch die letzte Viehschau auf dem Ospizio Bernina in Graubünden ist vom Aussterben bedroht. Hans Russi, 78, hatte bis zu seiner Pensionierung 2008 während dreier Dekaden eine Tierarzt-Praxis im Puschlav und den Viehmarkt beruflich betreut. Er sagt: «Solche Traditionen müssen unbedingt weiter gepflegt werden.»

Agrar-Quiz: Freizeitaktivitäten

Agrar-Quiz: Freizeitaktivitäten

Was ist erlaubt? Testen Sie beim Agrar-Quiz der UFA-Revue Ihr Wissen zum freien Betretungsrecht, zum Bodenrecht, zu Haftungsfragen oder zu agrotouristischen Angeboten und Events auf dem Hof.

Zum Quiz
Agrar-Quiz: Was gilt bei Gülle?

Agrar-Quiz: Was gilt bei Gülle?

Testen Sie Ihr Wissen. Machen Sie mit an unserem Agrar-Quiz zum Thema Gülle. Warum ist die Lagerung von Gülle im Winter obligatorisch? Mit welchem Gerät werden Ammoniakverluste am meisten reduziert? Wissen Sie die Antwort? Dann los. 

Zum Quiz

Meistgelesene Artikel

Damit diese Website ordnungsgemäß funktioniert und um Ihre Erfahrungen zu verbessern, verwenden wir Cookies. Weitere Informationen finden Sie in unserer Cookie-Richtlinie.

  • Notwendige Cookies ermöglichen die Kernfunktionalität. Die Website kann ohne diese Cookies nicht richtig funktionieren und kann nur durch Änderung Ihrer Browsereinstellungen deaktiviert werden.