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Landleben

Einst nur zum Heuen und Melken getragen

Das weisse Hirtenhemd hinterliess Spuren in der bäuerlichen Geschichte. Es ist nicht nur praktisch bei der Arbeit, sondern steht auch symbolisch für die Heimatverbundenheit zu den verschiedenen Regionen. Zu Kriegszeiten stand es gar für Patriotismus und Wehrhaftigkeit.

Beim Heuen schützt die Kapuze den Nacken vor den Heunadeln.

Beim Heuen schützt die Kapuze den Nacken vor den Heunadeln.

(Karl Horat)

Publiziert am

Agrarjournalist

Als Corona-Impfmassnahmengegner Treicheln schwingend durch die Schweizer Innenstädte zogen, staunten die Zeitungslesenden und Youtube-Konsumentinnen und -Konsumenten im Ausland. Sie staunten nicht zuletzt ob den schönen, buntbestickten weissen Blusen und fragten sich: Haben dort wohl alle eine solch schmucke weisse Oberbekleidung mit aufgestickten Alpenblumen und Wappen?

Ein Hemd mit Geschichte

Dieses «Hirtenhämli», das weisse Hirtenhemd mit Kapuze stammt aus der Innerschweiz. Es wird dort im bäuerlichen Alltag, auf der Alp, beim Heuen sowie an Viehschauen und bei Alpabfahrten getragen. Bekannt sind diese Hemden auch durch die Wilhelm-Tell-Darstellungen: Der kraftstrotzende, bronzene Freiheitsheld auf dem Platz vor dem Türmli in Altdorf trägt ganz offensichtlich so ein Älplerhemd – mit Rundausschnitt. Und das Hirtenhemd ist sogar zu klingender Münze geworden: Schon seit mehr als hundert Jahren ziert ein Älpler im Hirtenhemd das Fünffrankenstück, den «Fünfliber».

Das weisse Hirtenhemd mit Kapuze stammt aus der Innerschweiz.

 

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Wilhelm Tell in Altdorf – ein Trendsetter mit Hirtenhemd.

(iStock)

Die Schweizer Trachtenforscherin Julie Heierli (1859 – 1938) hatte vor hundert Jahren noch befürchtet, dieses Kleidungsstück würde in Kürze aussterben. In ihrem damals erschienenen Buch «Die Volkstrachten» schrieb sie: «Das Hirtenhemd, das in allen Berggegenden der Schweiz bis vor kurzem zu Hause war, ist heute am Verschwinden, obgleich es ebenso praktisch ist wie das Überhemd oder die Futterschlutte.»

Ein praktisches Kleidungsstück

Aber das Hirtenhemd hat überlebt und ist heute gefragter denn je. Nicht nur für die Arbeit auf dem Feld oder im Stall. Aber schon früher zeigte das Hemd seine Qualitäten; es beengte nicht bei der Arbeit. Auf steilen Heuwiesen in den Bergen, wo das Zu-Tal-Bringen einer schweren «Burdi» auf dem Rücken schon alle Kraft und äusserste Konzentration erforderte, wollten sich die Heuenden nicht noch zusätzlich malträtieren lassen. Die «Heukappe», wie die Kapuze einst genannt wurde, sorgte beim Heueintragen dafür, dass die dürren Halme nicht den verschwitzten Nacken piksten.

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Ursprünglich war das praktische Hemd aus Leinen gefertigt. 

(zvg)

Jeder Region ihr Hemd

Jede Schweizer Region kennt eine traditionelle bäuerliche Arbeits-Oberbekleidung für Männer: das Waadt- und das Greyerzerland den Bredson, das Bernbiet den Kühermutz, einen kurzen Kittel mit gebauschten Puffärmeln. Die Zentralschweiz samt Glarus und Gasterland bevorzugen seit jeher das Hirtenhemd. Und in der Ostschweiz, im Toggenburg und im Appenzellerland wird gern die «Fuetterschlotte» getragen: Ein bunt bestickter Leinen- oder Zwilchkittel.

In den Hirtenhämli-Stammlanden Innerschweiz und Glarnerland sind die Bräuche fürs Tragen dieser hemdartigen Überwurfblusen unterschiedlich. Zum Heuen werden in der Regel weisse getragen, für andere Gelegenheiten dürfen es dunkelblaue, graue oder braune Kapuzenhemden sein. In Glarus wird das Hämli oft mit einem roten Glarner-Tüechli kombiniert. Landwirte im schwyzerischen Muotatal haben gern gleich drei im Schrank: ein weisses fürs Heuen und für Festanlässe, ein blaues zum Füttern des Viehs im Stall und ein grünes für den Ausgang. Im Kanton Schwyz gehört das weisse Hirtenhemd vielerorts zur offiziellen Werktagstracht. Es ist unverzichtbar bei Folk-lore-Anlässen und bei Volksbräuchen wie dem «Greiflen» und «Geislechlepfe» im Kantonshauptort oder beim «Chlausjagen» in Küssnacht am Rigi, wo die tausend teilnehmenden Männer beim grossen Umzug das weisse Kapuzenhemd zu tragen haben.

Die Urner lieben für festliche Anlässe blaue Hirtenhemden, reich mit Alpenblumen-Motiven und einem Uri-Stier bestickt. Die Obwaldner hingegen mögen ihre «Hirtenhämli» in der Farbe Braun. Und die Engelberger Männertracht kennt gar eine schwarze Edelbluse, beidseitig des V-Ausschnitts mit reichen Blumenmustern in feinster Seidenstickerei.

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Auf Festumzügen ist das «Hirtenhämli» ein besonderer Blickfang. 

(Patrick Hürlimann)

Patriotismus in Krisenzeiten

Früher war es regional streng vorgeschrieben, wie das Hemd zu besticken war. Gar kein Spass wurde in Sachen Volkstrachten in der Zeit vor und während des Zweiten Weltkriegs verstanden. Der «Hirte im Hirtenhemd» wurde damals zum Urbild des wehrhaften Schweizers stilisiert. Der Agrarpolitiker und Direktor des Bauernverbandes in Brugg, der «Bauerngeneral» Ernst Laur (1896 – 1968), amtete ab 1931 für drei Jahrzehnte auch als Präsident der Schweizerischen Trachtenvereinigung. Unter seiner Leitung wurde das Trachtenwesen institutionalisiert und geordnet. Es herrschte sogenannte «Trachtenzucht»; das Tragen der Volkstracht wurde peinlichst überwacht, «falsches» Tragen autoritär unterbunden. Im Zuge der geistigen Landesverteidigung wurde die Tracht zum patriotischen Symbol stilisiert, sie sollte Bodenständigkeit, Heimatliebe und schweizerische Echtheit demonstrieren.

En Vogue im 21. Jahrhundert

In den letzten Jahrzehnten hat ein grosser Wandel stattgefunden und Trachtenmode ist stadtfein und beliebt geworden. Das Schweizer Hirtenhemd macht da keine Ausnahme. Es steht in der Beliebtheitsrangliste der bäuerlich-nostalgischen Kleidungsstücke ganz oben.

Das Hirtenhemd hat überlebt und ist heute gefragter denn je.

 Statt wie früher Leinen dominiert als Stoff mittlerweile eher Baumwolle. Julie Heierli schrieb 1924 in ihrem Buch noch: «Durch öfters Waschen wird die Leinwand blendend weiss. Den einst hellen Hirtenhemden aus Leinwand schadete häufiges Waschen nicht im Geringsten. Im Gegenteil: Sie werden ob dieser Prozedur mit der Zeit blendend weiss.» Mancherorts wurden sie so sogar zum sonntäglichen Kirchgang angezogen. 

Jedem sein eigenes Hirtenhemd

Zahlreiche Firmen haben sich auf die Bestickung von Hirtenhemden spezialisiert. Es ist nun möglich, sich sein Hirtenhemd selbst zu kreieren und professionell besticken zu lassen. So kann die eigene Herkunft, die Zugehörigkeit zu einem Verein oder, wenn gewünscht, Orts- und Familienwappen zur Schau getragen werden. Heute wird das Hemd aufgrund seines legeren Schnitts auch gerne als Freizeithemd getragen. Hirtenhemden sind nun sogar über die Grenzen hinaus bei vielen Nichtschweizern beliebt. Farblich zeigen sich die Träger beiderlei Geschlechts bei der Wahl flexibel: Traditionelles Weiss steht zwar immer noch hoch im Kurs, aber die Lieblings-Überwurfbluse kann nun auch rot, blau oder grün sein. 

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