Wir leben in einer Zeit, in der sich immer mehr Menschen dafür interessieren, was sie essen und trinken. Wie man sich richtig ernährt, was man wo einkauft und schliesslich mit wem diese kulinarische Erfahrung geteilt wird, ist wichtig. Die wachsende Präsenz der Esskultur führt zu einer neuen Wahrnehmung. Die Zubereitung von Essen wird in TV-Sendungen, Food Blogs und Apps inszeniert, Bilder davon werden in sozialen Medien geteilt und statt Rezepte in Kochbüchern nachzuschlagen, sucht man sie online.
Trends entwickeln sich durch Nachahmen
Unabhängig vom Alter und den Kriterien, die Konsumenten an eine gesunde Ernährung stellen, ist die Bereitschaft gross, sich auf neue Ernährungstrends einzulassen. Gemäss Christine Brombach, Ernährungswissenschaftlerin am Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation der ZHAW Wädenswil sind Trends eine Veränderungsbewegung oder ein Wandlungsprozess. Trends entstehen dadurch, dass eine Person oder Gruppe eine neue Auffassung und Denk- und Handlungsweise annimmt. Diese Handlungsweise findet Nachahmende und wird «Mainstream». Nachfrageseitige Trends werden primär durch sozio-demografische und ökonomische Entwicklungen ausgelöst. In Industrienationen sind gegenwärtig gesundheitliche Überlegungen, Werte und Normen hinsichtlich Tierwohl, Umwelt, Transparenz, Zeit und die Urbanisierung an einem Umdenken beteiligt. Trends wachsen über Jahre hinweg und führen zu einer Verhaltensänderung. Beispielsweise sei die Nachfrage nach biologisch erzeugten Lebensmitteln stark gestiegen. So entstehen dann nachfragegetriebene Trends, auf die später auch die Produzenten und die Verarbeiter reagieren. Jedes Lebensmittel ist Teil eines komplexen Systems. Lebensmittel müssen produziert, verarbeitet und verkauft werden. Innerhalb der Wertschöpfungskette komme es zu grossen Wechselwirkungen zwischen Umwelt, Wirtschaft, Gesellschaft und Gesundheit.
Die Nähe spüren lassen
Zur Frage, ob wir eher Sachen essen, weil sie im Trend oder weil sie gesund sind oder wir sie einfach mögen, sagt die Ernährungswissenschaftlerin: «Es ist immer ein Wechselspiel aus allen Aspekten.» Geschmack werde erlernt und weil wir etwas essen, lernen wir es auch zu mögen. Dies betreffe Lebensmittel, die gesund oder weniger gesund seien. «Nur weil etwas trendy ist, bedeutet das noch lange nicht, dass es auch gesund ist.» Durch das heutige Gesundheitsbewusstsein sei Trendfood meist auch gesund. Seit der Jahrtausendwende haben viele Metzgereien geschlossen. Fleischtheken gibt es nur noch in grossen Supermärkten. Deshalb kaufen Konsumenten das Fleisch oft kleinteilig abgepackt, oft auch schon mariniert. Ohne das Etikett zu lesen, können Konsumenten oft gar nicht feststellen, um welches Teil und um welches Tier es sich in der Verpackung handelt. Auch Gemüse und Früchte, die verschweisst in Styroporschalen im Gestell liegen, können oft nicht erkannt und bewertet werden. Immer mehr Konsumenten möchten heute die Lebensmittel wieder sinnlicher wahrnehmen, deshalb setzen Produzenten verstärkt auf die Möglichkeit, Verbrauchern mehr Einblicke in ihre Arbeit zu gewähren. Sie inszenieren sich und ihre Tätigkeiten, um das Produkt ins rechte Licht zu rücken und damit dem Erfahrungswissen ihrer Kunden wieder auf die Sprünge zu helfen.
«Eine vegetarische Schweiz wird es nicht geben.»
Regionale Produzenten, die oft nach biologischen Richtlinien produzieren, laden Konsumenten auf den Hof ein, bieten in ihrem Hofladen die frisch gepflückten Früchte, Gemüse und daraus hergestellte Produkte an, lassen die Kunden degustieren und laden zum Hofrundgang.
Transparenz wird gefordert
Die Nahrungsmittelindustrie setze alles daran, die Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten. Fertigprodukte (Convenience) sei der am stärksten wachsende Markt, heisst es bei der Bischofszeller Nahrungsmittel AG. Ihre kurze Haltbarkeit und der von vielen Konsumenten verlangte Verzicht auf Konservierungsstoffe, stelle die Industrie vor grosse Herausforderungen. Kosten sind für Konsumenten unbedeutend. Studien zeigen, dass rund zwei Drittel bereit sind, für nachhaltig produzierte Lebensmittel mehr zu bezahlen. Bei laktose- und glutenfreien Produkten stelle man fest, dass nur ein kleiner Teil der Konsumenten wirklich von Allergien betroffen sind. Viele lassen sich von Stars oder Foodbloggern beeinflussen. Trotzdem werde die Industrie zunehmend personifizierte Nahrung anbieten. Das heisst, der Konsument definiert, was er braucht und die Industrie liefert ihm das Gewünschte. Heute funktioniere dies bereits im Kosmetikbereich, deshalb sei es auch bei Lebensmitteln möglich. Mit Code Checks (Apps) sei es heute möglich, mehr Informationen zu einem Produkt zu erhalten.
Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt
Trends gehen mit veränderten Einstellungen einher, die dann zu einer Verhaltensänderung führen. Beispielsweise lässt sich das daran beobachten, dass die Nachfrage nach biologisch erzeugten Lebensmitteln in den letzten Jahren gestiegen ist. So entstehen dann nachfragegetriebene Trends, auf die die Produzenten dann auch reagieren. Jedes Lebensmittel hat Auswirkungen auf die Umwelt und auf Gesundheit. Ein Lebensmittel kann lokal oder auf einem anderen Kontinent erzeugt werden.
Das sagt allerdings nichts über die gesundheitlichen Qualitäten aus. Als Beispiel hierfür nennt Christine Brombach Avocados. Avocados sind sehr gesund, sie werden aber meist nicht nachhaltig produziert und es sind überdies Produkte, die mit dem Flugzeug in die Schweiz gebracht werden. Umgekehrt sind nachhaltig produzierte und hergestellte Lebensmittel nicht zwangsläufig auch gesund. Süssigkeiten aus nachhaltiger Produk tion sind dadurch nicht gesünder.
Foodtrends auf einen Blick
- Der Fleischkonsum wird sinken. Heute essen Schweizerinnen und Schweizer 51 Kilogramm Fleisch pro Jahr und Person. Die WHO empfiehlt die Hälfte.
- Die Zahl der Vegetarier, Veganer und Flexitarier nimmt zu. Gefragt sind alternative Proteinquellen. Hülsenfrüchte erleben einen Aufschwung. Algen, Insekten und im Labor hergestelltes Fleisch aus Stammzellen werden auf den Tellern landen.
- Vorfabrizierte Nahrung, sogenanntes Convenience, wird zunehmen.
- Direktvermarktung und Gemüseabos nehmen zu. Regionalität und Bio werden immer wichtiger.
- Die Nahrungsmittelindustrie wird vermehrt personifizierte Nahrungsmittel anbieten.
- Transparenz gewinnt an Bedeutung. Mit Apps oder Tracking wissen wir, wo das Ei gelegt, die Birnen gepflückt und das Getreide angebaut wurde.
- Tendenziell wird die Nahrung mehr kosten.
Essen ist Vertrauenssache
Der Konsument kann kaum die Komplexität der Nahrungsproduktion durchschauen, geschweige denn alle Schritte nachvollziehen, woher alle Zutaten eines Lebensmittels stammen und wie diese auf den Körper oder die Umwelt einwirken. Das macht das Essen zu einer Vertrauensangelegenheit. Daher ziehen es auch viele Konsumenten vor, re gio na le Lebensmittel zu konsumieren, weil diese uns näher und damit vertrauenswürdiger erscheinen. «Als Konsument sollten wir uns jedoch sowohl über die Herkunft als auch Zusammensetzung der Lebensmittel informieren, damit können wir unsere Wahl bewusst treffen und für uns die besten Alternativen heraussuchen», rät Christine Brombach.
Wie sieht unser Speiseplan in 20 Jahren aus?
«Da wir Menschen recht konservativ sind, was unsere Ernährungsweise anbelangt, erwarte ich keine grundlegenden Veränderungen», sagt Christine Brombach. Es werde vermutlich Verschiebungen geben in Richtung mehr Convenience und weniger Fleisch. Vermutlich werden alternative Proteinquellen (z. B. aus Hülsenfrüchten, marinen Quellen und in Zukunft Insekten oder Fleisch aus Petrischalen) zu günstigeren Preisen am Markt sein als heute und damit seien sie echte Alternativen. Trotzdem werde weiterhin Fleisch verzehrt, denn Fleisch sei auch für die Schweizer Landwirtschaft ein wichtiges Produkt. Christine Brombach ist sich sicher: «Eine vegetarische Schweiz wird es nicht geben.»
Auswirkungen auf die Schweizer Landwirtschaft
Die Nachfrage nach Lebensmitteln hat immer unmittelbaren Einfluss auf die landwirtschaftliche Produktion. Die Schweizer Landwirtschaft ist auf einem sehr hohen Niveau, allerdings sind die Anbauflächen begrenzt. Daher ist es wichtig, dass Alpen durch Kühe beweidet werden, weil sich sonst diese Flächen anders nicht landwirtschaftlich nutzen lassen. Wenn nun der Fleischkonsum rückläufig ist und gleichzeitig der Milchkonsum steigt, geht das nicht auf, denn für die Milchproduktion braucht es Fleisch. So müssen also immer auch Kreisläufe mitbedacht werden, wenn Auswirkungen von Foodtrends auf das Agro-Food-System betrachtet werden.
Die Schweizer Landwirtschaft wird sich an die Nachfrage anpassen. Beispielsweise kann momentan im Bereich von vegetarischen Trends beobachtet werden, dass in der Schweiz vermehrt Hülsenfrüchte angebaut werden oder auch, dass durch Bauernmärkte, Gemüseabos, Hofläden regionale Produkte in der Direktvermarktung den Kunden angeboten werden. Die Schweizer Landwirtschaft war immer sehr leistungsstark und effizient, meint Christine Brombach, das werde sie auch in Zukunft bleiben und damit auf die verschiedenen Trends reagieren.