Orchideen sind gefährdet und daher geschützt. Speziell der Frauenschuh (Cypripedium calceolus), auch Marienschuh genannt, weist in der ganzen Schweiz einen signifikanten Rückgang auf, besonders drastisch im zentralen und westlichen Mittelland. Im Jurabogen und im Grossraum Basel ist die Pflanze bereits ausgestorben.
Gründe für diesen Rückgang in der Schweiz und im europäischen Umfeld sind Klima- und Biotopveränderungen, Kahlschläge und Monokul-tur-Aufforstungen aus früherer und maschineller Waldnutzung aus neuerer Zeit sowie marginal auch die Vorliebe von Wildtieren für Frauen-schuh-Rhizome. Speziell zugesetzt haben den Beständen aber Pflanzensammler.
Schachmatt für Blumenschelme
Orchideenraub gab es schon früher, wie eine Fotografie vom Marktplatz in La Neuveville von 1921 belegt, wo wild gewachsener Frauenschuh offen zum Kauf angeboten wird. Doch es gibt solchen Frevel auch heute noch, wie Grossplünderungen am Creux-du-Van im Val-de-Travers und bei Scuol im Unterengadin zeigen. Dort wurden je rund 2000 blühende Frau-enschuh-Orchideen ausgegraben, obschon sie in Gärten ohnehin nicht lang überleben.
Eine neue Strategie soll nun den gefährdeten Frauenschuh-Orchideen helfen: Man vermehrt sie im Labor und pflanzt sie dann in freier Natur wieder aus. Parallel dazu soll einheimischer, auf längere Blütezeit selektionierter Frauenschuh kultiviert werden, der – analog den tropischen Hybriden – in den Handel gelangt. So ist er legal und zudem günstiger zu erwerben als unrechtmässig geraubter auf dem Schwarzmarkt, und er blüht erst noch fast doppelt so lange.
Idealismus und Professionalität
Den Frauenschuh in vitro zu vermehren und dann wieder an Originalstandorten anzupflanzen, erwies sich als extrem schwierig, wie schon erste Versuche in England zeigten, wo 1970 landesweit gerade noch eine einzige, Tag und Nacht bewachte Pflanze existierte. In der Schweiz verfolgt das gleiche Ziel die Schweizerische Orchideenstiftung am Herbarium Jany Renz mit Sitz in Basel, eine international renommierte Dokumen-tations- und Forschungsstätte. Der ehemalige Kustos Samuel Sprunger und sein Mitstreiter Werner Lehmann, zwei engagierte Orchideenkenner, setzen sich für das Rettungsprojekt ein. Weil sich das Aussäen von Samen wildwachsender Pflanzen als nicht zielführend erwies und umgekehrt die in vitro-Kultur entsprechende Anlagen, gärtnerisches Know-how und 24-Stunden-Klimakontrolle erfordert, haben sich die beiden einen geeigneten Partner gesucht. Fündig wurden sie in Holland bei Anthura B. V. in Bleiswijk, einer riesigen Blumengärtnerei nahe bei Rotterdam, die unter anderem auf selektionierte Garten-Orchideen spezialisiert ist. Dort fanden sie im Experten Camiel de Jong den optimalen Projektpartner. Durch dieses Teamwork einer idealistischen Non-Profit-Organisation mit einer professionellen Privatfirma sowie dank dem Goodwill der Behörden beider Länder wurde das Orchideen-Rettungsprojekt Tatsache. Da die meisten Aussetzungsorte auf Bauernland sind (Magerwiesen, Hecken, lichte Wälder), leisten die Landwirte mit ihrem Einverständnis und ihrer Rücksichtnahme einen zentralen Beitrag – zu Gunsten der Allgemeinheit.
Anspruchsvolle Kultivierung
Einfach war dieses Frauenschuh-Projekt nicht, denn Cypripedium calceolus ist eine geschützte Spezies und unterliegt den Artenschutz-Bestimmungen, die in der EU noch strikter als in der Schweiz geregelt sind. Für die Ausfuhr der Frauenschuh-Samenkapseln bedurfte es zwar keiner Schweizer Export-Genehmigung, aber Holland verlangte sowohl eine Schweizer Export- als auch eine holländische Import-Genehmigung.
Auch das Auskeimen der Sämlinge und das anschliessende Heranwachsen der Vorkeimlinge in vitro (steril) ist ein schwieriges Unterfangen. Die Samen werden im Gewebekultur-Zentrum von Anthura in Flaschen mit steriler Nährlösung zum Keimen gebracht, dann erst kommen sie (ex vitro, nicht mehr steril) in Erde und werden in klimatisierten Gewächshäusern mehrmals umgetopft, bis sie nach drei bis vier Jahren kräftig genug sind für das Auspflanzen. Im aktuellen Pilotversuch resultierten rund 28 000 Keimlinge, wovon etwa 3500 für die Repatriierung ausgewählt wurden. Die Kosten des Projekts von rund 40 000 Euro übernahm Anthura als Sponsor und kann dafür – sofern dies klappt – Langblüher für den Handel produzieren, was wiederum im Interesse des Projekts ist, um der Wilderei Einhalt zu gebieten.
Bereits neun Kantone an Bord
Die Resonanz ist erfreulich: Bereits neun Kantone machen beim «Projekt Frauenschuh» mit: Neuenburg, Jura, Basel-Stadt, Baselland, Bern, Obwalden, Aargau, Zürich und St. Gallen. Im April fand in der Bürgerspital-Gärtnerei in Basel das entscheidende Meeting aller Beteiligten statt, an dem die schweizerisch-holländischen Pflanzteams zusammengestellt wurden, damit im Juni die Repatriie-rungs-Auspflanzungen in allen neun Kantonen gleichzeitig stattfinden konnten. Wo genau wurde nicht kommuniziert, mit einer Ausnahme: Auf der Älggialp (OW), im geografischen Zentrum der Schweiz, entstand eine Referenzanlage, die besichtigt werden kann.
Win-win für alle
Nutzniesser dieser Aktion zugunsten des Frauenschuhs sind beide Länder und auch die Natur selbst: Die Schweiz kann ihre Orchideen-Ikone Frauenschuh retten, die niederländische Firma ein zusätzliches Standbein ausbauen; denn wenn sich dieses Pilotprojekt bewährt, werden auch andere Länder mit Orchideensterben auf den Zug aufspringen. Interessenten gibt es bereits. Das hilft schlussendlich der Natur europaweit.