Kuhglocken haben in der Schweiz Tradition. Auch wenn heute ihr Ruf zwischen Alpenidylle und Ruhestörung schwankt, gehören sie in die Bergwelt wie die Löcher in den Emmentaler Käse. Das Timbre einer Glocke vermittelt Informationen über das Tier, das sie trägt. Dominante Alphatiere haben die grössten Glocken der Gruppe. Mit ihren tieferen und lauteren Tönen geben die tiefen Glocken ein akustisches Signal für die übrigen Tiere der Herde. Jungvieh trägt kleine Glocken. Fachkundige unterscheiden verschiedene Klänge: Bass, Halbhoch, Hochton und Übertöner. Auch bei den Treicheln lässt sich der etwas dumpfe Ton der grossen, bauchigen Fahrtreicheln leicht vom hellen Schall der kleinen Weidtreicheln – auch Bissen genannt – unterscheiden. Das weithin hörbare Klingeln von Glocken und Treicheln erleichtert den Älplern das Auffinden von Streunern auf der Alp, zum Beispiel bei Nebel.
Mit der Schelle wird oft auch der Stolz eines Bauern auf ein bestimmtes Tier vermittelt: Die Lieblingskuh trägt nicht selten eine grosse Glocke an einem breiten Riemen, reich verziert mit Motiven aus der Familie des Halters.
Ein beliebtes Geschenk
Nüchtern betrachtet ginge es heute in der Viehhaltung auch ohne Geläut. Älpler könnten dem Rind einen GPS-Chip mit Peilsender am Halsband umhängen, um es zu tracken und würden auf dem Handy jederzeit dessen Standort ausmachen können. Aber den Glockengiessern und Treichel-Schmieden in unseren Landen wird die Arbeit nicht so schnell ausgehen. Trychler-Gruppen und souvenirsuchende Touristen kommen anstelle der weniger werdenden Landwirte als Kunden in ihre Werkstätten. Auch als Geschenk zu Jubiläen im landwirtschaftlichen Umfeld wird gerne so ein prächtig verziertes Meisterstück gewählt, mit Jahreszahl, Widmungen und Kantonswappen auf dem Edelweiss- und Enzian-verzierten Riemen versehen. Als Sieger-Trophäen bei Schwing- und Älplerfesten kommen ihre Werke ebenfalls auf die Gabentische. Überdies werden sie als lautstarke Unterstützung bei Sportveranstaltungen oder bei Parteiversammlungen gebraucht – und selbst Empfänge auf dem Flughafen, die ein typisch schweizerisches Gepräge haben sollen, erfordern Glocken- und Treichel-Klänge.
Die Arbeitsweisen des Meisters
Die Herstellung von Glocken und jene von Treicheln sind zwei verschiedene Metiers: Glocken werden aus einer Bronzelegierung in Form gegossen; eine Treichel oder Schelle hingegen wird aus zwei Hälften Blech geschnitten, im Feuer erhitzt, gehämmert und in Form gebracht und schliesslich an den Seiten verschweisst und vernietet.
Handwerker Stéphane Brügger stellt in seiner Werkstätte in Villars-sur-Glâne – ein paar Kilometer westlich der Kantonshauptstadt Fribourg – beide Typen her. Und das zu hundert Prozent in Handarbeit. Seit nun über dreissig Jahren übt er die uralten Handwerke des Giessens und Schmiedens aus. Erlernt hat er diese von seinem Vater Marius Brügger. Im Jahre 1986 konnte die Familie die Traditionsmarke Paul Morier Morges, die aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben werden musste, erwerben. Seither wird im Freiburgerland am Röstigraben mit diesen altgedienten Formen fabriziert.
Glocken giessen
Beim Glockengiessen kommt im Wesentlichen noch immer eine Arbeitsweise wie im Mittelalter zur Anwendung. In der Werkstatt kann aus verschiedenen Rohlingen die Grösse und Form ausgesucht werden. Dann braucht es davon zum Giessen eine Innen- und eine Aussenform – bestehend aus einem Quarzsand-Ton-Gemisch. In die Aussenform im Formkasten können die Verzierungen und Beschriftungen, die nach dem Guss auf der Glocke zu sehen sein sollen, mit Stempeln vorsichtig in den noch plastischen Formsand eingedrückt werden. Die vorbereiteten Formen werden dann mit der sogenannten Glockenspeise, einer auf gut 1200 Grad erhitzten flüssigen Metalllegierung aus Kupfer und Zinn ausgegossen. Das ist ein höllisch heisses Unterfangen und wird daher in entsprechender Asbestschutzbekleidung ausgeführt. Nach dem Auskühlen können die Glocken aus der Sandform gelöst und die Einguss-Kanäle abgeschlagen werden.
Bis eine Glocke sauber und glänzend dasteht, sind noch mehrere Arbeitsgänge erforderlich: Sandstrahlen, Schleifen auf der Drehbank und mit einer feinen Stahlbürste polieren gehören dazu. Zum Schluss kommt das Einsetzen des ebenfalls gegossenen Kallen, der dann den Glockenrand anschlägt und den Klang erzeugt.
Treicheln schmieden
Das Entstehen einer Treichel erfordert ein ganz anderes Vorgehen. Aber auch da braucht es mehr als zwanzig Arbeitsgänge bis aus einer Stahlblechplatte eine wohlklingende Treichel geworden ist.
Die einzelnen Arbeitsschritte erfordern viel Erfahrung und Handwerkskunst. Das Ergebnis soll ja nicht nur gut aussehen, sondern auch gut tönen. Dazu schneidet der Meister erst das Material für die zwei Hälften mit einer Stahlschablone aus flachem Blech, markiert diese und gibt Einzelheiten an. In der angefeuerten Esse – dem Herd des Schmiedes – bringt er die Blechteile zum Glühen, konturiert sie dann in einer Matrize und hämmert die Teile dort in die Form. Mehrmals kommen sie zurück ins Feuer und werden weiter verfeinert. Dann werden die Ränder sauber geschert, zum Aufeinanderpassen planiert und danach sorgfältig geschweisst.
Ein Fehler beim Schweissen könnte Spannungen im Metall erzeugen, die den Klang beeinträchtigen würden. Nachdem die Treichel ihre Form erhalten hat, ist in ihrem Inneren noch der Steg einzuschweissen, an dem dann zum Schluss der Schwengel befestigt wird. Oben braucht es einen Griff, den Bügel, an dem auch ein Riemen befestigt werden kann. Beidseitig am Maul, wie die Öffnung unten genannt wird, werden zwei Nieten gesetzt. Zum Schluss werden die Schweissnähte geschliffen und poliert und die Flecken vom Schweissen und Polieren noch restlos zum Verschwinden gebracht. Ein lange Jahre Freude machender Klangkörper ist entstanden – einer, der viel mehr ist als nur ein Gebrauchsgegenstand.