Die Geschichte der Kräuter ist spannend, besonders, weil die einzelnen Kräuter im Laufe der Zeitepochen oft zu unterschiedlichen Zwecken verwendet wurden. Kaiser Karl der Grosse empfahl zu seiner Zeit, «…dass man im Garten alle Kräuter habe…». So weit geht das Ritterhaus Bubikon im Zürcher Oberland nicht, aber aus den vier Geschichtsepochen Antike, Mittelalter, Kolonial- und heutige Zeit, werden die wichtigsten Vertreter der Kräuter gezeigt. Über deren Herkunft und Verwendungsart informiert eine Begleitbroschüre die Besucher. Darin ist Erstaunliches, Amüsantes und sogar Dramatisches zu lesen. Denn für oder gegen alles wurden und werden Kräuter eingesetzt. Nur gegen den Tod ist kein Kraut gewachsen, sagt das Sprichwort.
Orte des Wohlbefindens
Wendet man sich zuerst den antiken Gärten zu, dann lassen hier Ausgrabungen und schriftliche Zeugnisse erahnen, was darunter zu verstehen ist, nämlich eine Symbiose von Natur und Kultur. So galt der Innenhof der römischen Villa mit duftendem Grün und sprudelndem Wasser als locus amoenus, als Hort des Wohlbefindens, bereichert durch Wandmalereien und Skulpturen, Säulen und Laubengänge (Pergolen). In dieser Gartenarchitektur kam auch eine römische Erfindung, der Zement, zur Anwendung. Dies war eine Mischung von gebranntem Kalk, Wasser und Sand. Die Kenntnis über die Wirkungsweise von Kräutern war in der Antike gross und basierte auf griechischen, asiatischen und persischen Praktiken. Im Zentrum standen jedoch mediterrane Kräuter. Entweder gelangten sie in der Küche zur Anwendung, beispielsweise Majoran, oder sie dienten als Heilmittel. So wurde die Wurzel von Affodill als Wurmmittel und der Saft seiner Blätter gegen Zahn- und Ohrenschmerzen verwendet. Kräuter dienten aber auch dem Wohlbefinden, zum Beispiel das entspannende Baldrianbad. Sie erfüllten ebenso Schönheitsträume wie die Tollkirsche mit ihrem Wirkstoff Atropin; sie verhalf dem holden Geschlecht durch Vergrösserung der Pupillen zu besonders strahlenden Augen.
Vom Lust- zum Nutzgarten
Im Mittelalter, das heisst vom 8. bis zum 16. Jahrhundert, wurden die Gärten stets in unmittelbarer Nähe von Burgen und Klöstern angelegt. Geschützt wurden sie durch Mauern, Hecken oder Zäune. Der mittelalterliche Garten war vor allem ein Nutzgarten. In dessen Mitte befand sich meist ein stattlicher Brunnen und die Gartenfläche war unterteilt in rechteckige Beete, manchmal aufgelockert durch Pergolen.
Leider ging im Mittelalter viel Wissen aus der Antike verloren. Doch die Klostermedizin nahm sich der Heilkunde wieder an. Durch die Kreuzzüge kam das Abendland in Kontakt mit orientalischer Medizin, und Kaiser Friedrich II. erliess im 13. Jahrhundert die erste Medizinalordnung. Pioniere der Pflanzenheilkunde wie Jahrhundertarzt Paracelsus hatten trotzdem einen schweren Stand.
Das Erschliessen der Handelswege über die Weltmeere läutete die Globalisierung der Kräutergärten ein.
Kräuterkundigen wurde des Öfteren der Hexenprozess gemacht. Dass beim Ritterhaus Bubikon ein Epochenkräutergarten angesiedelt ist, kommt nicht von ungefähr. Das Ritterhaus wurde im Mittelalter als sogenannte Kommende des Johanniterordens gegründet. Die Anfänge dieses Hospitalordens reichen bis ins 11. Jahrhundert zurück, wo sich eine Johannes dem Täufer geweihte Bruderschaft in Jerusalem der Pflege kranker Pilger verschrieben hatte.
Globalisierung schon damals
In der Kolonialzeit, also vom 17. bis 19. Jahrhundert, gelangten exotische Pflanzen nach Europa, vorerst als Trophäen. Das Erschliessen der Handelswege über die Weltmeere läutete die Globalisierung der Kräutergärten ein. Es wurden später sogar Gewächshäuser auf Schiffen errichtet. Dies ermöglichte den Import lebender Pflanzen über weite Distanzen. Beispiele für solche reisenden Pflanzen sind der Sonnenhut aus Amerika, Basilikum aus Ostasien, Koriander aus dem Vorderen Orient oder Malagettapfeffer von der «Pfefferküste» Afrikas. Letzterer als Ersatz für den echten Pfeffer aus dem Orient. Durch all diese exotischen Kräuter und Gewürze wurde sowohl die Küche, als auch die Medizin nachhaltig beeinflusst.
Medizinlehre der Antike
In der antiken Säftelehre (Humoralpathologie) basierten die Körperfunktionen auf dem Zusammenspiel von Säften mit unterschiedlicher Eigenschaft: feucht-warmes Blut, trocken-warme gelbe und trocken-kalte schwarze Galle sowie feucht-kalter Schleim. Krankheit interpretierte man als Ungleichgewicht dieser Säfte. War zu viel Kälte im Körper, musste Wärme zugeführt werden. Dazu dienten Knoblauch und Fenchel. Mit der Königskerze liess sich sowohl Wärme als auch Kälte erzeugen.
Der mittelalterliche Garten war vor allem ein Nutzgarten.
Eine andere Lehre, das Similitätsprinzip, geht auf den griechischen Arzt Hippokrates zurück: Ähnliches möge durch Ähnliches geheilt werden (similia similibus currenter). So sollten beispielsweise Lähmungen durch den hochgiftigen Aronstab gelöst werden. Die Signaturenlehre hat ihren Ursprung ebenfalls in der Antike. Sie besagt, dass Zeichen in der Natur auf innere Zusammenhänge hinweisen. So soll das Lungenkraut, dessen Blätter die Form und die Flecken eines kranken Lungenflügels aufweisen, Atemwegsprobleme beheben. Gewissen Pflanzen schrieb man sogar magische Kräfte zu, so dem Farn eine Schutzwirkung gegen Schadenszauber. Arnika und Benediktenkraut wirkten angeblich als Liebeselixier, Wegerich dagegen als Neutralisator desselben. Das Veilchen, eine Duft und Heilpflanze war in der Antike mehreren Gottheiten geweiht und soll so entstanden sein: Eine junge Schönheit, Tochter des Gottes Atlas, wurde vom Sonnengott mit dessen Strahlen verfolgt. Sie floh und bat Zeus um Hilfe. Dieser verwandelte sie in ein Veilchen, das geschützt vor den Sonnenstrahlen im Walde wächst.
Mit Vorsicht zu geniessen
Trotz aller Begeisterung darf nicht übersehen werden, dass viele Arzneipflanzen teils hochgiftig sind. Davor wird auch im Epochenkräutergarten gewarnt. Sowohl in der Antike, als auch im Mittelalter wurden giftige Arzneipflanzen eingesetzt, zum Beispiel Tollkirsche, Aronstab, Herbstzeitlose oder Maiglöckchen. Wie sagte doch einst Giacomo Casanova im 18. Jahrhundert: «Gift in den Händen eines Weisen ist ein Heilmittel - ein Heilmittel in den Händen eines Toren ist Gift.»
Krautige Schweizer Erfolge
Der «Schweizertee» aus Alpenpflanzen eroberte ganz Europa, besonders nachdem Albrecht von Haller die Rezeptur optimiert hatte. Und Kräuterpfarrer Johann Künzle hat der botanischen Bergapotheke richtig zum Durchbruch verholfen. Seine Broschüre «Chrut und Unchrut» wurde seit 1911 mit zwei Millionen verkauften Exemplaren zur erfolgreichsten Schweizer Publikation. Vor der Mitte des 20. Jahrhunderts erzielte der inländische Heilkräuteranbau für die pharmazeutische Industrie seinen Höhepunkt. Auch das von ETH Professor Hans Flück 1941 publizierte Büchlein «Unsere Heilpflanzen» erreichte zehn Auflagen. Entscheidende Impulse zugunsten der Heilpflanzen setzte der Naturheilkunde Pionier Alfred Vogel (1902 – 1996).