Auf dem Parkplatz herrscht an diesem garstigen Morgen Hochbetrieb. Noch stehen die von Kopf bis Fuss wasserfest eingepackten Kinder bei ihren Müttern unter den Regenschirmen. Es schüttet wie aus Kübeln. Roswita Hollenstein und Andrea Lehmann nehmen die Kinderschar mit fröhlichem «Hallo» in Empfang. Noch ein letztes Winken und schon stapfen die Knirpse zur Scheune, sie wissen, was auf sie wartet, kaum eines schaut nochmals zum Mami. In voller Montur – Regen hose, Gummistiefel, Regenjacke und Mütze – setzen sich die zwölf Kinder zuerst ins Stübli, einem holzverkleideten Unterstand, der dem Grüppchen als Begrüssungs- und Znünistübli dient. Dort wartet Andrea be reits mit einem lustigen Bilderbüechli. «Die Geschichte vom Fritz Frosch pupst kenne ich», flüstert ein Mädchen. «Das ist doch die Furzgeschichte», kichern ein paar Buben, und schon fragt Andrea die Kinder, ob sie denn wissen, was pupsen überhaupt sei. Wie im Chor rufen die Kinder «furzen!» und lachen schallend. Für Roswita Hollenstein ist es wichtig, den Kindern gleich zu Beginn mit einer spassigen Geschichte den Einstieg in den Spielgruppenmorgen zu erleichtern.
Hautnahe Begegnungen mit der Natur
Vor zehn Jahren hat die Bäuerin und zweifache Mutter mit einer Spielgruppeneinheit angefangen, fünf Jahre später kam Andrea, ihre Cousine, dazu und seit einigen Jahren laufen drei Spielgruppen parallel. Zusätzlich bietet sie jeweils am Freitagmorgen noch eine Innenspielgruppe an. Das Interesse sei gross, erzählt sie, daran habe sie auch vor zehn Jahren nicht gezweifelt. Meist gebe es eine Warteliste und viele melden ihre Kinder schon früh an, damit sie dann auch Platz finden. Gedacht ist die Spielgruppe für ungefähr Drei- bis Vierjährige, sozusagen als Einstimmungsjahr für den Kindergarten. Individuell gebe es manchmal Überschneidungen, wenn ein Kind später eingeschult werde oder ein anderes noch zu wenig weit sei, den Morgen ohne Mami zu verbringen. Das trifft an diesem Morgen auf Elif und ihr Mami Sara Kayserilioglu zu. Zum dritten Mal wird die dreijährige Elif von ihrem Mami und dem kleinen Bruder begleitet. Sie habe diese Bauernhofspielgruppe gewählt, weil sie es wichtig findet, dass ihre Tochter nicht nur den modernen Wohn- und Lebensstil von ihrem Zuhause kennt, sondern eben auch das Leben auf einem Hof mit dem hautnahen Begegnen von Tieren und Pflanzen. Elif soll erfahren, woher die Milch und die Eier kommen, sie soll sehen, was die Kühe fressen, und soll lernen, wie ein Pony gestriegelt wird. Zudem wachsen ihre Kinder zweisprachig auf, und bislang dominiere noch die türkische Sprache. Sie freut sich, wenn Elif Gspänli findet und vielleicht beim nächsten Mal schon alleine in der Gruppe bleibt.
Sicherheit ist oberste Priorität
Nun aber geht’s nach draussen. Es regnet immer noch. «Die Kinder kümmert das Wetter nicht», sagt Roswita Hollenstein. Während es die einen direkt in den Stall zieht, suchen andere in der riesigen Auswahl an Traktoren, Bobby Cars und Velos ihre Favoriten aus und sausen mit dem Gefährt davon. In der Zwischenzeit holt Andrea das schneeweisse Pony aus dem Stall, schon sind ein paar Kinder da und beginnen das Tier zu striegeln. Sie brauchen keine Anleitung, sie wissen, was zu tun ist. Weil Emma heute Geburtstag feiert, ist sie als erste dran und sitzt stolz im Sattel.
Die Kinder wissen relativ rasch, wo und wie sie sich auf dem Hof bewegen dürfen.
Die Bäuerin will den Kindern, die meist aus der Stadt Wil und den umliegenden Dörfern kommen, den Umgang mit den Bauernhoftieren, den verschiedenen Jahreszeiten und das Landleben überhaupt näher bringen. «Wir zeigen ihnen den Unterschied von Heu und Stroh, wir lassen die Kinder das Fell der verschiedenen Tiere spüren und erklären, was welche Tiere zu fressen bekommen.» Wenn es einem Kind gar gelingt, zusammen mit dem Bauer ein paar Tropfen Milch aus dem Euter einer Milchkuh zu kriegen, dann sei das ein grosses Ereignis, schildert Roswita Hollenstein. Natürlich sei die Sicherheit der Kinder das oberste Gebot. Deshalb werde der Bewegungsraum klar abgesteckt. Die Bäuerin ist gelernte Bäckerin und hat im 2012 die Ausbildung zur Spielgruppenleiterin absolviert. Die Kinder wissen relativ rasch, wo und wie sie sich auf dem Hof bewegen dürfen. Auf dem Milchwirtschaftsbetrieb leben um die 55 Milchkühe, ein paar Pferde und Ponys, zwei Dutzend Hühner und einige Freilandschweine.
Dreckeln und durch Pfützen springen
Nun macht sich der kleine Hunger bemerkbar und das Geburtstagsfestli von Emma steht auch noch an. Flink schälen die beiden Leiterinnen die Kinder aus ihren Regenjacken und Mützen. Im Stübli sitzt das Geburtstagskind auf einem Thron, die Kinder nehmen rundum auf den langen Bänken Platz. Emma strahlt, während die Kinder das Geburtstagslied singen, öffnet verschiedene Zauberschälchen, darf in die Schatztruhe greifen und kriegt schliesslich ein kleines Päckchen mit einem T-Shirt drin, das mit ihrem Namen angeschrieben ist. Als Geburtstagsüberraschung kriegen alle Kinder ein Weggli mit einem Schoggistängeli.
Spielen heisse auch entdecken und experimentieren, erklären die Leiterinnen, während die Kinder essen. So sei auch der starke Regen an diesem Morgen wertvoll, denn einige Kinder hätten schon bemerkt, dass der Vorplatz vor dem Stall mit dem nassen Sand und dem Mist eine glitschige Fläche geworden sei und dass sie sich mit den Spieltraktoren und ihren Gummistiefeln an die veränderten Verhältnisse anpassen müssen. Manch ein übermütiger Knirps sei auch schon mit dem kleinen Velöli ausgerutscht und hingefallen, schildern die beiden Leiterinnen. Dann gebe es auch mal ein Tränchen oder zwei, doch die Kinder wissen, wohin sie gehen müssen. Roswita und Andrea trocknen Tränen, helfen beim WC-Gang, erzählen Geschichten, singen Lieder und lachen und scherzen. Und selbstverständlich dürfen sie sich alle schmutzig machen, dreckeln, durch die Pfützen springen und den Kühen beim Pupsen zuhören.
Der Hof Boxloo
Der Hof im Boxloo (Rossrütti, SG) wird als IP-Suisse-Betrieb bewirtschaftet. Der neue Laufstall hat Platz für 55 Milchkühe. Die Stierkälber werden zur Kälbermast weiterverkauft, die Kuhkälber gehen mit ungefähr sechs Monaten auf einen Aufzuchtbetrieb im Berggebiet. Vor dem ersten Abkalben kehren sie auf den Betrieb zurück. Auf dem Hof gibt es die zwei Familienponys, Disco Fox und Branco, und zwei Mini-Shetty-Ponys, die Idda Hollenstein gehören. Zudem werden ungefähr zwei Dutzend Hühner gehalten, die Eier werden ab Hof verkauft. Produziert wird Weizen, Silomais und Gerste. Aus den Früchten der 60 Hochstammobstbäume wird Most hergestellt. Nebst dem Betriebsleiter Thomas Hollenstein arbeitet seine Frau Roswita mit. Sie ist vor allem für die Spielgruppe zuständig. Der Sohn Damian lernt Landwirt und Tochter Stephanie geht noch zur Schule. Unterstützung erhält die Familie von den Eltern Guido und Idda Hollenstein, zudem arbeiten ein polnischer Mitarbeiter und ein Lernender mit.