Von Weidenruten und Korbflechtern
Weiden als Heilpflanzen
Die Weidenrinde enthält Salicin, das im Körper zur schmerzlindernden und fiebersenkenden Salicylsäure umgewandelt wird. Die heilende Wirkung von Weidentee war schon Hippokrates bekannt. 1874 wurde Salicylsäure erstmals synthetisch hergestellt, war aber ungeniessbar, da die Magenschleimhaut schädigend. 1897 gelang Dr. Felix Hoffmann eine verträgliche Synthese namens Acetylsalicylsäure. Daraus entstand zwei Jahre später das Medikament Aspirin. Wollte man heute den gewaltigen Verbrauch an Salicylderivaten noch mit Weidenrinde decken, bräuchte es weltweit eine Anbaufläche in der Grösse Europas.
Körbe, Hutten, Weidezäune, Fischreusen, Korbstühle und Kinderwagen – früher waren Flechtwaren alltäglich. Doch die allmähliche Industrialisierung des Handwerks machte die Korbflechter brotlos. Seit 1950 wurde kein Lehrling mehr ausgebildet. Doch ab 1977 wendete sich das Blatt. Neue Lehrverträge wurden abgeschlossen und ein anerkanntes Berufsbildungsreglement realisiert. Die neue Berufsbezeichnung lautet jetzt «Korb- und Flechtwerkgestalter/-in».
Winzlinge und Riesen
Die Silberweide ist eine typische Vertreterin der bis zu 25 Meter hohen Weiden. Als hochwüchsigste einheimische Art vermag sie sich gegenüber anderen Bäumen des Auwaldes durchzusetzen. Auf Riedflächen begegnet man der Grauweide. Sie gehört zu den bis zu sechs Meter hohen Sträuchern. Beispielhaft dagegen für die Winzlinge unter den Weiden ist die Krautweide. Sie ist im Gebirge beheimatet und zählt zu den Zwerg- oder Teppichsträuchern. Weil dort Lichtkonkurrenten fehlen, kann es sich die Krautweide leisten, über den Boden zu kriechen und dabei die Erdwärme zu nutzen und zugleich den Sturmwinden zu trotzen.
Die Weiden der warmen Tieflagen und der kalten Gebirgszonen unterscheiden sich aber nicht nur in der Grösse, sondern auch in verschiedenen botanischen Details, so unter anderem darin, dass die Kätzchen, das heisst die ährenförmigen Blütenstände der ersteren vorwiegend von Insekten, jene der letzteren mehrheitlich vom Wind bestäubt werden.
Herr und Frau Weide
Über 90 Prozent der Pflanzenarten weltweit tragen zwittrige Blüten. Anders die Weide: Sie hat entweder nur weibliche oder männliche Blüten, was fachsprachlich Zweihäusigkeit genannt wird. Ausnahme: Weiden-Kreuzungen wie die Trauerweide. Die mit einem Haarschirm ausgestatteten Weidensamen sind federleicht (10 000 Stück wiegen ein Gramm) und können vom Wind kilometerweit verfrachtet werden. Weil sie kein Nährgewebe enthalten, sind sie nur wenige Tage keimfähig. Die Flughaare kleben nach der Landung am Boden fest und bringen dadurch den Keimling in aufrechte Lage.
Weil Weiden als Pionierpflanzen geringe Ansprüche stellen und ihre Wurzeln tief ins Erdreich vordringen, eignen sie sich im Landschaftsbau zur Stabilisierung vernässter Rutschhänge. Junge Zweige der Silber- und Purpurweide dienen zum Aufbinden von Pflanzen, speziell Reben, weil sie den Vorteil haben, nicht einzuschneiden.
Kopfweiden für Flechtwerke
Am bekanntesten ist der Nutzen der Kopfweiden. Um geeignete Ruten zum Binden und Flechten zu erzeugen, werden die Weiden alljährlich auf Brusthöhe zurückgeschnitten, wodurch kopfartige Verdickungen entstehen; daher der Name. Als Bauund Brennholz eignet sich das weiche Holz der Weiden nicht. Knorrige Kopfweiden stellen Nischen für Höhlenbrüter und für Fledermäuse bereit. Ausserdem bieten sie Nahrung und Lebensraum für unzählige Insekten sowie für Pilze und Misteln.
Vergessenes Nischenprodukt
Weidenruten, die heute berufsmässig verflochten werden, stammen fast ausschliesslich von ausländischen Weidenkulturen. Gefragt wären daher Pioniere aus Landwirtschaft, Forstwesen und professionellem Gartenbau, die prüfen, ob sich da nicht eine neue Nischenproduktion generieren liesse. Denn Flechtwaren sind wieder «in».
Aktuell gibt es in der Schweiz gut 30 hauptberufliche Korbflechter und -flechterinnen. Einer ihrer Vertreter ist der ehemalige Präsident der IGK Schweiz, Pepito F. Zwahlen, der in Grabs SG ein Atelier für Flechthandwerk führt und selber aus der einstigen Korber-Hochburg Rüschegg BE stammt. Bescheiden aber überzeugt stellt er fest: «Wir sind zwar ein Randberuf, aber stolz auf unser Handwerk, egal ob wir Neuanfertigungen oder Restaurationen, Gebrauchsutensilien oder Kunstobjekte machen. Konkurrenzdenken gibt es bei uns nicht; man hilft sich gegenseitig aus, und jedes Mitglied zeichnet sich ohnehin durch seine flechterische Handschrift aus».
Autor
Heini Hofmann, Zootierarzt und Wissenschaftspublizist, 8645
Jona
Bilder
Botanischer Garten St. Gallen