Am Hauptbahnhof Zürich steigt Nik in den Zug Richtung Bern. Nik, besser bekannt unter seinem Instagram-Namen «Stadtkind im Schweinestall», besucht heute seinen 197. Schweinestall. Und wie es der Name schon sagt: Nik ist ein Stadtkind, aus Zürich. In seiner Freizeit besucht der 31-Jährige regelmässig Betriebe, die ihm die Türen bereitwillig öffnen. Genau, in seiner Freizeit! Denn Nik arbeitet Vollzeit im Büro und hat mit der Landwirtschaft eigentlich nichts am Hut. Doch erst einmal zurück zum Anfang.
März 2021. Die Schweiz steckt erneut in einem Lockdown der Covid-Pandemie und Nik im Homeoffice fest. Er fühlt sich isoliert und gelangweilt. Also lädt er sich die App Instagram herunter, von der seine Freunde immer schwärmen. Und wie er beim Mittagessen so in sein Schweineschnitzel beisst, fragt er sich, wie dieses denn überhaupt auf seinen Teller gekommen ist. Auf Instagram wollte er dem auf den Grund gehen und kreiert seinen Account. Dieser soll hier im Vordergrund stehen, daher gibt Nik nur seinen Vornamen bekannt. Er möchte den Menschen zeigen, wie vielseitig die Schweinehaltung sein kann. Im Mai 2021 wurde Nik dann von einem Schweinezüchter in seinen Stall eingeladen. Den Besuch dokumentiert er anschliessend auf seinem Instagram-Profil. Daraufhin melden sich weitere Betriebe, und das Ganze nimmt seinen Lauf. Anfangs besucht der Städter Zucht- und Mastbetriebe in der Deutschschweiz, später folgen Schweineställe in Deutschland und Österreich.
Nik, Agrar-Influencer«Man muss die Landwirtschaft mit allen Sinnen erleben.»
Der Zug nähert sich langsam der Schweizer Hauptstadt, und Nik erzählt munter: «An der Landwirtschaft fasziniert mich, dass alle Menschen so gastfreundlich sind und mir mit einer enormen Offenheit entgegentreten.» Er sei zwar ein Laie, aber er fühle sich immer ernst genommen. Die meisten Menschen machen schon nur wegen des starken Geruchs einen grossen Bogen um den Stall. Doch genau diese direkten Begegnungen mit Mensch und Tier sind für Nik jeweils das Highlight des Besuchs.
Mittlerweile ist Nik im Bernbiet angekommen. Der Bahnhof wirkt verlassen, von Weitem hört man ein paar Kuhglocken. Ein weisses Auto kommt angefahren, darin sitzt winkend die Betriebsleiterin des Stalls, den Nik heute besuchen darf. Auf dem Armaturenbrett sticht ein kleines Wackelschwein ins Auge. Das Tagesthema nimmt sogleich Fahrt auf, und Christine erzählt von ihrem Betrieb.
Für einen Laien ist Nik im Gespräch mit Christine äusserst kompetent und fachsimpelt direkt mit. Zehn Minuten später werden Turnschuhe gegen Gummistiefel getauscht. Für Nik ist klar, dass man die Landwirtschaft mit allen Sinnen erleben muss. Darin sieht Nik eine Chance, dem Stadt-Land-Graben entgegenzuwirken. Würden mehr Betriebe ihre Türen öffnen und sich für Erklärungen Zeit nehmen, würde auch das Verständnis in der Gesellschaft gefördert. Und die sozialen Medien seien eben auch ein ideales Instrument, um diese Brücke zur Bevölkerung zu schlagen.
Nik, Agrar-Influencer«Den meisten Leuten ist nicht klar, wie viel Arbeit und Wissen in einem Betrieb stecken.»
Die Sauen begrüssen Nik und Christine mit neugierigen Blicken und kommen ihnen direkt entgegen. Etwa 40 bis 50 Stunden wendet Nik monatlich für sein Schweinehobby auf. Es mache ihm einfach Freude, wenn er damit bei anderen ein stärkeres Bewusstsein für die Nahrungsmittelproduktion schafft. Der Städter geht ehrfürchtig durch den sauberen Stall, lobt Christine immer wieder für die vorbildliche Tierhaltung, zeigt Wertschätzung und stellt viele Fragen. «In welchem Rhythmus arbeitet ihr denn?» und «Welche Genetik haben eure Muttersauen?» Den meisten Leuten sei einfach nicht klar, wie viel Arbeit und Wissen in so einem Betrieb stecken, sagt Nik weiter.
Als Nik sich schliesslich auf den Heimweg macht, ist Christines Arbeitstag noch längst nicht vorbei. Sauspannend war dieser Tag, und Nik plant bereits seinen nächsten Stallbesuch. Denn solange er Freude daran hat, betont er, wird er dieses besondere Hobby weiterführen.
Vom Betonblock ins Bauernhaus auf dem Berg
Aufgewachsen in der ehemaligen DDR in, wie sie selbst sagt, «einer dieser öden Betonsiedlungen», kam Nadine Perren in ihrer Kindheit kaum mit der Landwirtschaft in Berührung. Eigentlich wollte sie Medizin studieren, doch der dafür geforderte Notendurchschnitt war viel zu hoch. Sie ging ans Wirtschaftsgymnasium, aber auch das war nicht so ganz ihr Ding. Sie wurde Musikerin und arbeitete in der musikalischen Früherziehung. Nebenbei war sie als Sängerin Mitglied in mehreren Musikgruppen. Da in den Schulferien die Aufträge oft knapp waren, arbeitete sie in den Sommerferien als Kindermädchen. Mit Anfang zwanzig kam sie daher nach Zermatt und entwickelte ihre Leidenschaft für die Natur. Vor ihrer Rückreise nach Deutschland bat sie ihr Hütekind in Zermatt zu bleiben. Nadine ging zwar zurück, kündete aber sogleich ihre Wohnung und ihren Job, packte ihre Sachen und kam zurück in die Schweiz – diesmal um zu bleiben. Erst als sie ihren heutigen Mann Robi kennenlernte, begann sie sich für die Landwirtschaft zu interessieren. Robi schmiss Nadine ins kalte Wasser und liess sie machen. Am Anfang war dies für Nadine gar nicht leicht. Sie musste alles von Null auf lernen. Robi vermittelte ihr aber geduldig sein Wissen und beantwortete jede ihrer Fragen. Heute ist die Präsidentin der Landfrauen Oberwallis aus tiefstem Herzen Landwirtin. Sie hat zudem einen Alpsennkurs absolviert, einen Schaf- und Ziegenmilchkurs sowie weitere Ausbildungen am landwirtschaftlichen Zentrum in Visp. Es sei nicht immer einfach. Manche Aufgaben, wie zum Beispiel am Hang mit schweren Maschinen zu fahren, machen ihr auch heute noch Mühe. Jedoch könnte sie sich keinen schöneren Beruf vorstellen. Sie liebt es, im Einklang mit der Natur und den Jahreszeiten zu arbeiten, die eigenen Produkte auf dem Tisch zu haben und sie jodelt sogar für ihre Schafe. Sich selbst bezeichnet Nadine durch und durch als Landei. Sogar den urchigen Walliserakzent hat die Bäuerin inne. Sie wünscht sich aber noch mehr Verständnis von der Bevölkerung. Denn der Stadt-Land-Graben sei nach wie vor gross. Es werde viel gefordert seitens Gesetzgebung und Bevölkerung. Aber wenn sie den Spaziergängerinnen und Wanderern dann erkläre, warum sie nicht über ihr Feld laufen dürften, verstünden diese nur Bahnhof. Social Media könne da vielleicht Abhilfe schaffen, da es ein einfacher Weg sei, die Bevölkerung zu erreichen. Es sei aber auch heikel, da man so eine Angriffsfläche böte. «Wir posten Bauernhofidylle. Mit unserem Alltag hat dies wenig zu tun» sagt Nadine weiter. Ob ihre Begeisterung für die Landwirtschaft denn noch da sei? «Sie wächst von Tag zu Tag und ich fühle mich richtig seelig!»
Lindas Traum vom eigenen Bauernhaus
Wer in der Stadt Zürich aufwächst, hat in der Regel wenig mit Landwirtschaft zu tun. Linda Oswald hat sich für eine Lehre als Landwirtin entschieden und dies obwohl sie aus der Grossstadt kommt. Sie war schon als Kind sehr naturbezogen und besuchte mit ihrer Mutter den Pferdestall. Lindas Traum war es, irgendwann in einem Bauernhaus mit schönem Garten und vielen Tieren zu leben. Nach einem einjährigen Praktikum auf einem Pferdehof in Italien merkte sie, dass diese idyllische Vorstellung eines eigenen Bauernhofs aber auch harte Arbeit erfordert. Die gelernte Schreinerin informierte sich über die Ausbildung zur Landwirtin und merkte: das ist genau meins.
Wie werden unsere Lebensmittel eigentlich produziert? Was braucht es für eine nachhaltige Bewirtschaftung unserer Böden? Solche Fragen haben Linda weiter angespornt, die zweijährige Berufslehre als Landwirtin als Zweitlehre zu absolvieren. In der Berufsschule gab es einige Quereinsteiger und sie fühlte sich als Stadtkind nicht benachteiligt. Im Gegenteil: diese Unterschiede regten in der Klasse zum Diskutieren an und förderten das gegenseitige Verständnis. Es gab aber auch immer wieder «Häh?-Momente» und Linda konnte aus Stadtsicht vermitteln, dass für die Gesellschaft nicht immer alles verständlich ist, was für Landwirtinnen und Landwirte logisch erscheint. Ein lustiger Moment sei es auch gewesen, als sie einmal mit dem Traktor durch die Stadt fahren musste. «Mir haben Familien mit Kindern zugewinkt. Die haben sich richtig gefreut. »
Heute arbeitet Linda auf einem Betrieb in Horgen, 15 Autominuten von ihrem Wohnort Zürich entfernt. Es sei manchmal schon ein Spagat zwischen zwei Welten, aber ihr städtisches Umfeld zeige viel Verständnis und hat vor allem Interesse für Lindas Beruf. Und genau da erkenne sie den Stadt-Land-Graben. «Es fehlt das gegenseitige Wissen und die gegenseitigen Bedürfnisse sind nicht klar» sagt die Jung-Landwirtin. Die Landwirtschaft sei eben extrem komplex. «Ich muss wissen, wie ich Maschinen warten und bedienen kann, wie der Körper einer Kuh funktioniert und welche Erdschichten ein gesunder Boden hat», meint Linda weiter. Es würde helfen, wenn landwirtschaftliche Themen in die Grundbildung integriert würden. Natürlich habe auch die Politik viel in der Hand, aber schlussendlich leben wir in einer Demokratie, in der jede Person mitbestimmen kann. Auf ihrem Instagram-Kanal postet Linda aus ihrem Alltag aus Landwirtin. Sie schreckt nicht zurück, auch mal unschöne Bilder wie beispielsweise von einer Schlachtung zu zeigen. Wenn sie irgendwann ihr Bauernhaus bewohnt, möchte sie auch Workshops anbieten, um der Bevölkerung die Landwirtschaft näher zu bringen – für sie der schönste Beruf der Welt!
Unser Tipp
Wie kommen Stadtmenschen aufs Land?
– Agriwas? Jugendliche zwischen 14 und 25 Jahren mit Interesse an der Landwirtschaft haben die Möglichkeit, mittels der Organisation Agriviva zwei bis acht Wochen auf einem Bauernhof Landluft zu schnuppern.
– Lernen mit SchuB (Schule auf dem Bauernhof). Bauernhöfe öffnen Schulklassen im Rahmen des Fachs «Natur, Mensch, Gesellschaft» die Stalltüren.
– Am 13. Und 14. April 2024 findet «Emma auf Hoftour» statt. Ein Erlebnis für die ganze Familie, bei welchem man die vielen Facetten der Landwirtschaft entdecken kann.