3/ 4 Serie: Der Bio-Piwi-Weinbaupionier erzählt
QUER gelesen
- Erst mit dem Abschaffen der Sortenliste des Bundes konnten Piwi-Sorten regulär angebaut werden.
- Resistenzen gegen Pilze und Insekten werden aus nicht europäischen Wildsorten eingekreuzt.
- Zur Abwehr besitzen Piwi-Reben mechanische Barrieren und sekundäre Pflanzenstoffe.
- Der Pilz kann sich weiterentwickeln und Resistenzen durchbrechen, weshalb mehrere Resistenzmechanismen zusammen wirksamer sind.
Als Bauernsohn empfand ich das regelmässige Spritzen unserer Reben als eine unerwünschte Notwendigkeit. Eine fantastische Welt öffnete sich mir, als ich durch den Agroscope-Sortenspezialisten Dr. Pierre Basler im ETH-Studium erfuhr, dass es Rebsorten gibt, die sich selbst gegen Mehltaupilze wehren können. Doch diese waren nicht in der zwingend vorgeschriebenen Sortenliste des Bundes verzeichnet, ergo nicht für die Pflanzung zugelassen. Mit einer Sonderbewilligung als Grossversuch für Agroscope gelang es uns 1989 anlässlich der Umstellung auf biologischen Rebbau, die ersten resistenten Reben zu pflanzen, nämlich Maréchal Foch, Léon Millot, Seyval Blanc und Muscat Bleu. Mithilfe der bäuerlichen Nationalräte Andrea Hämmerle und Ruedi Baumann konnten wir 1994 dann die Sortenliste abschaffen. Dank dieser Freiheit können sogar Zuchtstämme gepflanzt werden, beispielsweise vom Züchterpaar Blattner. Aber auch Jean Laurent Spring von Agroscope hat Piwi-Sorten gezüchtet. Unser weiterer Weg zeichnete sich 1999 ab. Damals regnete es so häufig, dass meine Bio-Spritzungen im restlichen Blauburgunder versagten, sodass kein Blatt und keine Traube mehr vorhanden waren. Wir rodeten daher diese Flächen und wandelten unseren Bio-Betrieb noch radikaler zum reinen Piwi-Anbau um, mit Excelsior, Chancellor, Solaris, Cabernet Jura, Cabernet Cortis, Monarch und Zuchtstämmen.
Wie sich Piwi- Sorten gegen Mehltaupilze wehren
Da Mehltaupilze in Europa ursprünglich nicht vorkamen, besitzen heimische Sorten gegen sie keine Abwehrkräfte. In Amerika und Asien hingegen mussten die Wildreben diesen Pilzkrankheiten und der Reblaus trotzen, um zu überleben. Sie haben dazu verschiedene Eigenschaften in ihren Genen verankert. Um ein Eindringen des Keimschlauches der Pilzsporen massiv zu hemmen, sind die Blätter mit dicken Zellwänden ausgestattet. In diesen sind viel Silizium, Gerbstoffe und rote Farbstoffe eingelagert. Zusätzlich Schutz bietet eine dicke Wachsschicht auf den Blättern, zusammen mit einer schuppenartigen oder behaarten Oberfläche. Auch das Verstopfen der Spaltöffnungen mit Kallusgewebe ist eine wirksame Waffe gegen die Pilzsporen. Solche Reben trocknen nach Regen schneller ab, wodurch den Pilzsporen das Wasser zum Keimen fehlt. Wenn der Falsche Mehltau doch in das Pflanzengewebe eindringen kann, lässt die Rebe sofort eine Zellreihe rund um den Pilz absterben, Nekrose genannt. So kann der Pilz nicht mehr weiterwachsen. Doch abgestorbene Zellen können nicht mehr assimilieren und verstopfte Spaltöffnungen fehlen für den Gasaustausch. Die Rebe muss zum Weiterwachsen rasch zusätzliche Abwehrkräfte bereitstellen, um erneuten Pilzangriffen zu widerstehen. Das Wundermittel sind eigene, natürliche Gifte gegen den Pilz. Die Rebe bildet die sekundären Pflanzenstoffe Resveratrol und Viniferin, welche im Pflanzensaft zu den Infektionsstellen transportiert werden und dort als natürliches Fungizid wirken. Dies dauert je nach Sorte etwa vier Tage. Gibt es längere Feuchtperioden, können nur Rebsorten mit mehreren verschiedenen Abwehreigenschaften dem Pilz widerstehen. Zudem sind junge Pflanzenteile sehr anfällig. So war 1999 sogar die sehr robuste Sorte Maréchal Foch, nach zehn Jahren ohne zu spritzen, letztlich dem Pilz unterlegen. Zwischen Mai und Juni war es vier Wochen lang sehr regnerisch, und wir entdeckten Pilzrasen auf den jungen Blättern und noch kleinen Beeren. Einen Teil der Ernte konnten wir durch eine sofortige Spritzung mit biologischen Mitteln retten. Seither schützen wir alle Sorten mit mindestens zwei Bio-Spritzungen vor und nach der Blüte. Bei schlechtem Wetter wiederholen wir dies auch im Sommer zum Schutz des jungen Laubes.
Moderne Sorten züchten
Heute kreuzt man die Resistenz von verschiedenen Wildreben in europäische Sorten ein. Es kann aber dennoch die Abwehrkraft vermindert werden. Das katastrophale Jahr 2021 hat dies mit grosser Härte gezeigt. Während zehn Wochen ab Ende Juni waren unsere Reben jede Nacht nass. Der Falsche Mehltau konnte andauernd Milliarden von Sommersporen freisetzen. Das ermöglicht viele Mutationen. So ist plötzlich ein neuer Pilzstamm fähig, Resistenzen zu durchbrechen und sich sprunghaft zu vermehren. Befallsfrei blieben in unserem Rebberg Oberlin Noir und Maréchal Foch. Ein wenig Befall zeigten Léon Millot, Muscat Bleu, Chancellor, Monarch und Seyval Blanc. Einen deutlichen Blattbefall fanden wir hingegen Ende August bei Excelsior, Bianca, Solaris und Cabernet Cortis. Cabernet Jura war in windoffenen Parzellen mittel bis stark befallen, aber in tiefer, feuchter Lage sehr stark befallen. Wegen der Dauerinfektionen haben wir recht häufig biologische Mittel gespritzt, und mein Sohn verwendete, um den feuchten Boden zu schonen, mehrmals die Sprühdrohne. Zum Glück haben wir nur noch Piwi-Sorten; mehrere konventionelle Europäer-Rebflächen in der Gegend hatten Totalausfall.
Der Bio-Piwi-Weinbaupionier
Fredi Strasser (Jahrgang 1958) wuchs auf einem Bauernhof in der Ostschweiz auf und studierte Agronomie an der ETH Zürich. Während 36 Jahren war er als Lehrer und Berater für Biolandbau an der zürcherischen Landwirtschaftsschule Strickhof und zugleich in der Forschung von Agroscope tätig. Seine Leidenschaft ist der Weinbau, und so bewirtschaftet er mit seiner Familie in Stammheim (ZH) ein Bioweingut. Dabei nutzt er ausschliesslich pilzwiderstandsfähige Reben (Piwi). Wer mehr von und über Fredi Strasser erfahren möchte: www.stammerberg.ch
Das Piwi-Buch: «Pilz-Resistente Traubensorten – Reben biologisch pflegen, naturreinen Wein geniessen» von Fredi Strasser und Franziska Löpfe,
Bilder: Jürg Willimann. Haupt Verlag
Der letzte Beitrag dieser Serie folgt in der Oktober-Ausgabe. Lesen Sie auch die Beiträge 1 und 2.