Die Tierarzneimittelverordnung (TAMV) regelt unter anderem die Abgabe von Arzneimitteln von Tierärzten an die Landwirte. Unterschieden wird zwischen der Abgabe von Medikamenten für die Prophylaxe von Krankheiten (die Tiere sind also noch nicht sichtbar krank) und der Abgabe von Medikamenten für die Behandlung von bereits erkrankten Tieren. Damit ein Tierarzt Medikamente abgeben darf, muss eine Tierarzneimittel-Vereinbarung zwischen ihm und dem Landwirten vorliegen. Im Artikel 11 der TAMV ist festgehalten, dass Medikamente, welche für die Prophylaxe verwendet werden, für einen Bedarf von vier Monaten abgegeben werden dürfen. Seit der Revision der TAMV vom 1. April 2016 ist die Abgabe von Antibiotika nur noch eingeschränkt möglich. Was sind die Hintergründe dafür?
Resistenzen
Bakterien, welche für ein Antibiotikum oder sogar mehrere Antibiotika nicht mehr empfindlich sind, sind in der Schweiz und auch weltweit ein zunehmendes Problem. Um diesem Trend entgegenzuwirken, wurde vom Bundesrat die Nationale Strategie Antibiotikaresistenzen (StAR) verabschiedet. Darin werden acht Handlungsfelder definiert, welche die folgenden zwei Ziele verfolgen: Die Wirksamkeit von Antibiotika soll langfristig gesichert und die Bildung von Resistenzen eingedämmt werden. In einem der acht Handlungsfelder des StAR-Projekts wird definiert, dass im Rahmen der Revision der TAMV die Abgabe von Antibiotika grundsätzlich eingeschränkt werden muss. Das hat zur Folge, dass Reserveantibiotika grundsätzlich nicht mehr auf Vorrat abgegeben werden dürfen und alle Antibiotika (nicht nur die Reserveantibiotika) nicht mehr für den prophylaktischen Einsatz abgegeben werden dürfen. Von zweiterer Regel sind auch die antibiotischen Trockensteller betroffen, da sie vor der Revision in vielen Fällen routinemässig und ohne den Nachweis einer Infektion im Euter, eben prophylaktisch, eingesetzt wurden. Das heisst aber nicht, dass Kühe nicht mehr antibiotisch trockengestellt werden dürfen: Wenn der Landwirt nachweisen kann, dass beim Trockenstellen mit grosser Wahrscheinlichkeit eine Infektion im Euter vorliegt, darf er antibiotische Trockensteller für die Behandlung dieser Erkrankung weiterhin einsetzen. Hier kommt der Begriff Selektives Trockenstellen ins Spiel: Kühe dürfen seit der TAMV-Revision nur noch selektiv mit Antibiotika trockengestellt werden. Was bedeutet das nun für die praktische Umsetzung?
Selektives Trockenstellen
Beim selektiven Trockenstellen wird in einem ersten Schritt zusammen mit dem Bestandestierarzt evaluiert, ob ein Betrieb für dieses Trockenstellkonzept überhaupt geeignet ist. Es geht darum, die aktuelle Situation der Eutergesundheit auf Niveau Bestand zu evaluieren. Dafür können vom Tierarzt verschiedene Kennzahlen des Betriebes, welche im Zusammenhang mit Euterentzündungen und Zellzahlen stehen, zusammengestellt und ausgewertet werden. Wenn hier zum Vorschein kommt, dass auf dem Betrieb ein generelles Problem mit Euterentzündungen vorherrscht, zum Beispiel wegen infektiösen Mastitiserregern, kann nach weiteren Abklärungen ein routinemässiger Einsatz von Antibiotika beim Trockenstellen weiterhin Sinn machen. Wenn sich der Betrieb mit den Kennzahlen im normalen Bereich befindet, können die Kühe selektiv antibiotisch trockengestellt werden. Das heisst, es ist nun in einem zweiten Schritt auf Niveau Einzeltier wichtig, dass eine bestehende Euterinfektion mit grosser Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen und so auf den Einsatz von Antibiotika verzichtet werden kann. Dazu müssen verschiedene Untersuchungen wie der Verlauf der Zellzahlen, der Schalmtest, die Vorgeschichte von Mastitis in der vorangehenden Laktation oder die Untersuchung von Milchproben jeweils einzeln oder in Kombination miteinander betrachtet werden.
Zitzen versiegeln hilft
Ein wichtiges Prinzip des selektiven Trockenstellens ist die konsequente Versiegelung von allen Zitzen. Auch bei Kühen, welche mit einem Antibiotikum trockengestellt werden müssen, macht die Zitzenversiegelung durchaus Sinn: Der Wirkstoff von antibiotischen Trockenstellern wird in jedem Fall langsam abgebaut und die Kühe sind so schon einige Wochen vor dem Geburtstermin nicht mehr geschützt (Grafik 2). Direkt beim Galtstellen und später in der sogenannten «Kritischen Periode» direkt vor dem Geburtszeitpunkt ist das Infektionsrisiko aber erwiesenermassen am grössten (Grafik 1). Dafür gibt es verschiedene Gründe: Einerseits dauert es nach dem Trockenstellzeitpunkt einige Tage bis schützende Zellen in das Euter eingewandert sind und das Euter wird nicht mehr jeden Morgen und jeden Abend kontrolliert. Wenn zusätzlich noch Milch ausläuft, können Bakterien besser ins Euter eintreten. Allfällig vorhandene Keime werden nicht mehr ausgemolken und die verbleibende Milch ist ein optimales Nährmedium für das Bakterienwachstum. In unabhängigen Studien wurde zudem festgestellt, dass der Keratinpfropf, welcher beim Galtstellen den Zitzenkanal auf natürliche Weise verschliessen sollte, sich bei einem hohen Prozentsatz der Kühe nicht mehr ausbildet. In diesen Fällen bleiben die Zitzenkanäle offen und eine Infektion des Euters kann leicht stattfinden. Zudem ist das Immunsystem der Kuh vor der Abkalbung zusätzlich geschwächt wegen zunehmendem Geburtsstress und sie wird noch anfälliger für Euterinfektionen. Wenn also der Einsatz von Antibiotika reduziert werden soll, ist die konsequente Vorbeugung vor Neuinfektionen in der Galtzeit mit dem Zitzenversiegler absolut entscheidend.
«Noch nie einen Galtviertel gehabt»
Ein Betriebsleiter, der seine Herde bereits seit rund zehn Jahren selektiv trockenstellt, ist Alfred Jost aus Wohlen bei Bern: «Ich habe in einer Fachzeitschrift einen Bericht zum Thema gelesen und gedacht, dass ich das unbedingt ausprobieren muss», so der Betriebsleiter. Zu Beginn hat er nur einzelne Tiere ohne antibiotischen Trockensteller und mit Zitzenversiegler galt gestellt – nach und nach wurden es dann immer mehr. Unterdessen benötigt er nicht einmal mehr bei der Hälfte seiner 26 Kühe Antibiotika zum Trockenstellen.
Grenze bei 200 000 Zellen
Doch welche Kühe werden noch mit antibiotischen Trockenstellern behandelt? Da hat Alfred Jost eine klare Strategie: Entscheidend ist die letzte Milchkontrolle vor dem Trockenstellen: Die Grenze liegt etwa bei 200 000 Zellen/ml, ab da wird in der Regel antibiotisch trocken gestellt. Weiter ist aber auch der Verlauf der Eutergesundheit während der Laktation entscheidend: «Hatte eine Kuh bereits während der Start- oder in der Produktionsphase Probleme mit der Eutergesundheit, setze ich eher einen antibiotischen Trockensteller ein. Es ist auch eine Gefühlssache, man kennt seine Kühe und kann einschätzen, bei welchem Tier ein Versiegler reicht und wo es antibiotischen Schutz braucht», so der erfahrene Betriebsleiter.
Milch muss zurückgehen
Damit die Kühe gut trocken gestellt werden können, reduziert Alfred Jost kurz vor dem Trockenstellen die Fütterungsration und melkt die Kühe während zwei Tagen nur noch einmal pro Tag: «Es ist wichtig, dass die Kühe in der Milch zurückgehen, damit der Zitzenversiegler nach dem Applikation nicht wieder rausgedrückt wird. Besonders bei Kühen mit hohem Minutengemelk und etwas schlechterem Schliessmuskel ist das wichtig», erklärt der Betriebsleiter.
Eutergesundheit stabil
Galtviertel und Probleme in der Startphase – dies sind Ängste, die Landwirte nennen beim Begriff «Selektives Trockenstellen». Diese teilt Alfred Jost aber nicht: «Ich hatte noch nie einen Galtviertel seit ich umgestellt habe – aber auch zuvor hatte ich keine Probleme damit.» Die allgemeine Eutergesundheit habe sich ebenfalls nicht verschlechtert sondern sei etwa gleich geblieben, bestätigt der Betriebsleiter.
Versiegler gut entfernen
Für Alfred Jost ein sehr wichtiger Punkt bei der Anwendung von Zitzenversieglern ist das Entfernen der Masse nach dem Abkalben. «Es ist wichtig, dass vor dem ersten Melken mit der Maschine möglichst alles entfernt wird. Sonst kann es vereinzelt vorkommen, dass ich noch nach einer Woche ganz leichte Rückstände finde», beschreibt der Landwirt das Anmelken nach dem Abkalben.
Das selektive Trockenstellen empfiehlt Alfred Jost definitiv auch anderen Landwirten: «Einfach ausprobieren, es kann auf allen Betrieben funktionieren und der Antibiotika-Verbrauch kann deutlich gesenkt werden, ohne dass sich die Eutergesundheit verschlechtert.»
Die Anwendung
Ein Zitzenversiegler bietet einen mechanischen Verschluss des Zitzenkanals und der Zitzenzisterne und dies im Gegensatz zu antibiotischen Trockenstellern während der ganzen Trockenstehzeit. So wird ein sehr effizienter Schutz vor Neuinfektionen erreicht. Bei der Anwendung müssen folgende Punkte beachtet werden: Zuerst wird die Zitze desinfiziert, dann wird, falls nötig, ein antibiotischer Trockensteller appliziert und anschliessend wird die Zitze mit Orbeseal versiegelt. Während der Anwendung muss die Zitze an deren Übergang zum Euter abgeklemmt werden damit die Masse nicht in die Euterzisterne gelangt. Die wachsartige Substanz des Zitzenversieglers verschliesst nun die Zitze bis zur Abkalbung und wird nach der Geburt des Kalbes von Hand mit einigen Milchstrahlen wieder vollständig ausgemolken. Anschliessend kann die Kuh normal mit der Maschine gemolken werden. Da das Produkt frei von Antibiotika ist, hat es eine Absetzfrist von null Tagen für Fleisch und Milch.
Zusammenfassung
Die Pflicht zur Antibiotikareduktion nach der TAMV Revision hat weitreichende Konsequenzen. Der Fokus muss seither vermehrt auf die Vorbeugung von Infektionen gelegt werden. Da der natürliche Verschluss der Zitzenkanäle bei vielen Kühen nicht stattfindet, sind diese in der Hauptinfektionszeit der Euter, nämlich in der Galtzeit, dem Infektionsdruck von Bakterien stark ausgesetzt. Zudem verlieren antibiotische Trockensteller ihre Wirkung während der Trockenstehzeit langsam, was die Problematik von Neuinfektionen in der «Kritischen Periode» vor dem Abkalben unterstützt. Mit dem Zitzenversiegeln kann ein mechanischer und sehr effizienter Schutz vor Neuinfektionen, bei mit oder ohne Antibiotika trockengestellten Kühen, in der ganzen Galtzeit erreicht werden. Die korrekte Anwendung ist jedoch entscheidend.